Samstag, 11. Dezember 2010
Anstrengendes Weihnachtsgeschenk
Eine Freundin von Janne hatte zum Geburtstag ein personalisiertes Buch bekommen. Janne war ganz aus dem Häuschen, dass auch sie dort einen Part bekommen hatte. Eine Freundin von hat daraufhin für ihre Kinder solche Bücher fpr Weihnachten anfertigen lassen.
Da hatte ich die Idee, das kann ich selbst! Ich schreibe eine Geschichte, in der alle Orte, Menschen (auch Lehrer!), Tiere und Gegebenheiten (Situationen, die Janne oder jemand anderes aus der Familie erlebt hat) vorkommen. Also eine komplett auf Janne zugeschnittene Geschichte. Sie heißt: Janne und der Nordseestern mit dem Untertitel: Neue Schule - Neue Freunde
Die Geschichte ist fast fertig, muss aber noch ein paar Mal Korrektur gelesen werden!! Das Cover habe ich bereits gebastelt/gezeichnet und laminiert. Ich werde es auf dickes Papier drucken und dann binden.
Ich bin schon sehr gespannt auf Jannes Reaktion!
Da hatte ich die Idee, das kann ich selbst! Ich schreibe eine Geschichte, in der alle Orte, Menschen (auch Lehrer!), Tiere und Gegebenheiten (Situationen, die Janne oder jemand anderes aus der Familie erlebt hat) vorkommen. Also eine komplett auf Janne zugeschnittene Geschichte. Sie heißt: Janne und der Nordseestern mit dem Untertitel: Neue Schule - Neue Freunde
Die Geschichte ist fast fertig, muss aber noch ein paar Mal Korrektur gelesen werden!! Das Cover habe ich bereits gebastelt/gezeichnet und laminiert. Ich werde es auf dickes Papier drucken und dann binden.
Ich bin schon sehr gespannt auf Jannes Reaktion!
We are family
| pommesrot
um 08:19h
| 8 Kunde
| Appetit?
sid,
Samstag, 11. Dezember 2010, 14:24
Sie sind fleißig!! Das klingt richtig klasse!!!
Ich hab erst 2 Bücher gekauft (Geburtstagsgeschenk allerdings) und einmal Tee umgefüllt *g*
Allerdings hab ich auch schon gesagt, daß es Weihnachtszeugs erst kurz vor Ostern geben wird *lach*
Ich hab erst 2 Bücher gekauft (Geburtstagsgeschenk allerdings) und einmal Tee umgefüllt *g*
Allerdings hab ich auch schon gesagt, daß es Weihnachtszeugs erst kurz vor Ostern geben wird *lach*
ramirez,
Donnerstag, 16. Dezember 2010, 21:54
Wow! ... WOW!!! Tolle Idee. Ich wette, das Geschenk kannst du nie wieder toppen!
Kriegen wir einen klitzekleinen Auszug zu lesen? *flöööt* Bittebittebitte!!!
Kriegen wir einen klitzekleinen Auszug zu lesen? *flöööt* Bittebittebitte!!!
pommesrot,
Freitag, 17. Dezember 2010, 12:25
Da braust du einen langen Atem, sie ist 32 Seiten lang. Ich könnte sie mal kurz in die Kommentare stellen...
cabman,
Freitag, 17. Dezember 2010, 14:18
Super Idee. Habe ich letztes Jahr auch gemacht:
Und ja bitte einstellen. Danke!
Und ja bitte einstellen. Danke!
pommesrot,
Freitag, 17. Dezember 2010, 14:24
Tataaa! (Bitte beachten, es ist für ein 10-jähriges Mädchen!!)
Janne und der Nordseestern
Neue Schule - Neue Freunde
„In einer Woche geht’s los“, seufzte Janne, „ich werde das hier ganz schön vermissen.“ Sie setzte sich auf und sah zu ihrer Zwillingsschwester Lena, die neben ihr auf dem großen Trampolin lag. Sie waren zwar Zwillinge, sahen sich aber kein bisschen ähnlich. Janne war einen halben Kopf größer als ihre Schwester, hatte dickes, dunkelblondes, fransig geschnittenes Haar, und trug eine hellblaue Brille. Lenas blondes, feines und mit einer hellen Strähne versehendes Haar fiel ihr bis auf die Schultern und für ihre 10 Jahre hatte sie erstaunlich viele Zahnlücken. Der Vater der Zwillinge hatte einmal behauptet, sie hätten genau zwei Gemeinsamkeiten: erstens waren sie beide Mädchen, zweitens hätten sie beide zufällig am selben Tag Geburtstag. Und wenn die Mutter gefragt wurde, ob es denn Zwillinge in der Familie gegeben hätte, antwortetet sie mit stoischer Gleichmäßigkeit, dass das Einzige, was sie selbst mit Zwillingen gemeinsam hätte, ihr Sternzeichen war.
Dem großen Bruder Tim war das alles herzlich egal. Mit seinen 14 Jahren hatte er ohnehin andere Interessen als seine Schwestern. Zum Ärgern und manchmal zum Herumkommandieren ok, aber sonst! Er setzte im Moment alles daran, den Treckerführerschein zu machen, damit er noch mehr im elterlichen Bauernhof einsteigen konnte.
„Es wird dir gefallen, glaub mir“, sagte Lena, „ich für meinen Teil freue mich schon, endlich meine Freunde wieder zu sehen. Sechs Wochen Sommerferien sind echt genug.“ „Dazu muss ich erst mal Freunde finden. Du kommst immerhin schon in die sechste Klasse. Du kennst dein Internat in- und auswendig. Ich dagegen fange als i-Dötzchen an. Die gucken bestimmt alle, weil ich schon so groß bin. Nur weil ich ein halbes Jahr wegen dieser blöden Operation aussetzten musste.“ Janne rappelte sich auf und fing zu hüpfen an.
„Hey pass auf, ich falle fast runter!“, rief Lena und kletterte vom Trampolin auf ihren Voltigierbock aus Holz, der daneben stand. „Sei froh, dass dein Herz wieder in Ordnung ist und du jetzt wieder richtig hüfen und reiten kannst! Das war das halbe Jahr im Krankenhaus allemal wert. Außerdem, ich wünschte, mein Internat würde sich auch auf Langeoog und nicht in Hamburg befinden, das kannst du mir glauben! Jeden Tag hast du das Meer vor der Haustür und dann noch der Reitstall des Internats! Ausritte am Strand! Ich beneide dich echt.“
„Ja stimmt schon. Das haben Mama und Papa echt gut ausgesucht. Ob sie uns vermissen werden?“, fragte Janne und sah ihre Schwester fast ängstlich an. „Und was ist mit Tim? So ganz alleine auf einmal.“ „Mach dir um unseren großen Bruder mal keine Sorgen. Der hat nur noch die Baustelle und seinen Führerschein im Kopf. Und die Eltern – mir haben sie letztes Jahr jede Woche zwei Briefe geschickt. Das wird bei dir nicht anders sein.“
Die kommende Woche verging wie im Flug. Die Zwillinge sind oft zusammen mit den Freundinnen Luise und Jette aus dem Ort schwimmen gefahren, waren Eis essen, haben gemeinsam im Garten gezeltet und die Nächte durch gequatscht. Am Tag vor der Abreise wurde die Familie zum gemeinsamen Grillen eingeladen. Überall im Garten und auf der Dachterrasse waren Fackeln und Teelichter verteilt. Janne und Lena wurden zum Abschied mit guten Ratschlägen, extra Portionen Kuchen und großzügigem Taschengeld von Oma und Opa versorgt. „Hey, und was ist mit mir?“, beschwerte sich Tim lautstark bei seinen Eltern, „warum schickt ihr mich nicht in ein Bauerninternat? Ich fordere sofort mehr Taschengeld!“ „Wir bezahlen bereits deinen Führerschein, du Nase“, rief Opa Heini dazwischen und boxte Tim freundschaftlich in die Seite. „War nur ein Scherz, Opa. Um nichts in der Welt will ich in einer Schule auch noch schlafen müssen!“
Endlich waren alle Koffer, Taschen und Rucksäcke im Auto verstaut. Außerdem wollte Janne auf keinen Fall auf ihren grünen City-Roller verzichten. Tim stand mit Ferris, dem Schäferhund der Familie auf dem Hof und winkte ihnen hinterher. Janne schaute noch einmal traurig zurück, und sie hätte schwören können, das Tim sich über die Augen gewischt hatte. Bis auf einen kurzen Stau waren sie gut in Bensersiel angekommen. „Lange werden wir uns nicht verabschieden können“, sagte Jannes Mama Kerstin nach hinten zur Rückbank gerichtet. „Wir müssen gleich weiter nach Hamburg und Lena abliefern.“ „Ok, Mama, aber könnt ihr mir einen Gefallen tun, du und Papa?“ „Ja bitte?“ Ihre Eltern drehten sich gleichzeitig nach hinten um und die Zwillinge kreischten schon wieder vor Lachen. Während des Staus hatten sich die Eltern kugelrunde rote Stoffnasen aufgesetzt. Zur Stressbewältigung, hatte die Mutter erklärte und den anderen Verkehrsteilnehmern zugelächelt, während der Vater mit wunderbarer Gleichgültigkeit weiter geradeaus schaute.
„Könnt ihr bitte die Nasen abnehmen? Mir ist das echt peinlich hier vor den ganzen Leuten. Es sind bestimmt schon Mitschüler darunter. Die denken doch alle, meine Eltern hätten `nen Vollknall“, flehte Janne unter Lachtränen. „Nicht wenn sie Dr. Eckhard von Hirschhausen kennen“, schmunzelte die Mama. „Die Nasen sind doch harmlos. Erinnere dich bitte: Bei meiner Einschulung in Hamburg hatten sie diese Käppies mit den klatschenden Händen obendrauf an. Das ist volle Absicht von den beiden, damit uns und ich glaube auch ihnen der Abschied leichter fällt“, raunte Lena Janne zu.
Auf der Fähre suchte Janne sich einen Platz ganz oben an Deck und winkte ihren Eltern und Lena ein letztes Mal zu. Ein anderes Mädchen in ihrem Alter stand ebenfalls ganz oben und winkte. Janne bemerkte, dass ihr Tränen über die Wangen liefen und schaute schnell woanders hin. Sie wollte nicht, dass das Mädchen sich beobachtet fühlte. Die Überfahrt dauerte nicht lange. Schon bald war die Insel in Sicht. Nachdem die Fähre angelegt hatte, suchte Janne sich einen Platz in der Inselbahn. Sie kannte das Prozedere bereits, da sie schon ein paar Mal Urlaub mit der Familie auf Langeoog verbracht hatte. Nun aber wimmelte es vor Mädchen in allen Altersklassen. Viele hatten bereits ihre Schulkluft, ein hellblaues T-Shirt oder Sweatshirt und eine dunkelblaue Steppweste mit dem Internatslogo und der Aufschrift „Nordseestern“ versehen. Bald werde ich auch so eine Uniform bekommen. Sieht chic aus, dachte Janne. Dann bemerkte sie wieder das Mädchen von der Fähre. Sie saß alleine auf einer Bank im Abteil und schaute in die Ferne, als ob sie der ganze Trubel kein bisschen interessierte. Janne fasste sich ein Herz und setzte sich neben sie. „Na, bist du eine der Neuen im Nordseestern? Ich heiße Janne“, sagte Janne munter und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich will nicht reden“, brummte das Mädchen mürrisch und drehte Janne den Rücken zu. Verdutzt sah Janne sie an. Da die Bahn inzwischen brechend voll geworden war, musste Janne wohl oder übel neben ihr sitzen bleiben. Ärgerlich drehte sich Janne von dem Mädchen weg. Das fing ja gut an!
Am Langeooger Bahnhof warteten ca. 15 Pferdekutschen auf die Mädchen des Internats. Auf der Insel waren ausschließlich Pferdekutschen und Elektroautos erlaubt. Eine recht junge Lehrerin stand auf dem Vorplatz und hielt eine rot-blaue Fahne mit der Aufschrift „Nordseestern Erstsemester“ hoch. Neben Janne und dem immer noch mürrisch dreinblickenden Mädchen gesellten sich noch sechs weitere Mädchen. „Mein Name ist Ann-Kathrin Klasing. Ich bin die Sport- und Reitlehrerin der Schule und außerdem die Vertrauenslehrerin der Erstsemester. Herzlich willkommen ihr Lieben. Ich hoffe, ihr hattet eine ruhige Überfahrt und keiner von euch ist seekrank geworden. Als ich das erste Mal nach Langeoog gekommen bin, habe ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt.“ Alle lachten und zum ersten Mal blickte auch das Mädchen auf. „Verzeihung, so krass wollte ich das nicht formulieren. Aber es gibt keinen treffenderen Ausdruck dafür. Verratet mich nicht an Frau Götsch-Kruse“, fügte sie verschwörerisch hinzu. „Das ist die Internatsleiterin und sie mag keine unflätigen Ausdrücke. Womit sie natürlich absolut Recht hat, denn das gehört sich nicht“, schloss sie augenzwinkernd. „Die ist aber nett, oder“, wagte Janne einen zweiten Versuch, nachdem sie in der Kutsche Platz genommen hatten. „Kann schon sein.“ „Das Internat befindet sich bei der so genannten Melkhorndüne!“, rief Frau Klasing, da die Kutsche ziemlich laut polterte. „Von hier sind es etwa 12 Kilometer über den Deich und durch die Dünen. „Das ist ja am Arsch der Welt“, beschwerte sich ein blondes gelocktes, hageres Mädchen das, die Janne gegenüber saß. Noch so eine Spaßbremse, dachte diese. Das kann ja heiter werden!
Das Internat lag wirklich idyllisch in den Dünen eingebettet. Es war U-förmig gebaut, hatte zwei Stockwerke und ein rustikales Reetdach mit zahlreichen Gauben. „Eure Koffer werden in Kürze auch hier sein. Henning, unser Haus- und Hofmeister ist schon unterwegs, sie vom Bahnhof abzuholen. Stellt euch besser gut mit ihm, denn er ist auch für den Verleih der Schulfahrräder zuständig. Alle Schlafräume der Schüler befinden sich im Ostflügel. Ihr seid in 4-er Zimmern untergebracht. Im Zimmer Moorhenne werden zukünftig Hanna, Silvie, Merle und Kira wohnen. Das Zimmer Stockente teilen sich Janne, Marieke, Pia und Laura. Ihr könnt schon mal eure Zimmer in Augenschein nehmen und die Betten beziehen. In einer halben Stunde treffen sich alle Schüler und Lehrer in der Aula zum Empfang. Anschließend gibt es Mittagessen.“ Damit verabschiedete sich Frau Klasing und die Mädchen standen ein wenig unschlüssig herum.
„Die Zimmernamen sind ja der Kracher“, kicherte Janne. „Gut, dass es auf Langeoog keine Doppelschnepfen oder Fettschwalben gibt“, bemerkte das kleine, kräftige Mädchen neben Janne trocken. Alle drehten sich zu ihr um. „Na ja, meine Mutter arbeitet hier im Internat. Sie ist hier die Hausmutter Schrägstrich Chefköchin und beschäftigt sich in ihrer Freizeit mit Ornithologie.“
„Häh?!“, machten alle aus einem Munde.
„Vogelkunde! Noch nie was davon gehört oder was?“, erklärte das Mädchen ein wenig hochnäsig. „Nun mach mal nicht auf superschlau. Wenn deine Mutter hier arbeitet kennst du dich doch aus. Also los, zeig uns mal die Zimmer“, beschied Janne und ging schon mal voraus. Na toll, dachte sie. Die Mürrische, die Spaßbremse und jetzt auch noch eine Ich-weiß-was-das-du-nicht-weißt-Trulla.
„Zum Ostflügel geht es hier lang du Blitzmerker“, rief Pia ihr nach und deutete in die entgegengesetzte Richtung. Das Zimmer Stockente hatte die Fenster `gen Küste. Die Moorhenne lag direkt gegenüber. Jedes der Zimmer hatte zwei Dachgauben unter denen jeweils zwei Betten neben denen je links ein Nachtschränkchen stand. Janne öffnete die weißen Fensterläden und ließ die frische Meeresluft herein. Vor den Betten lagen flauschige, rot-blau-gelb geblümte Läufer auf dem Dielenboden und an jedem Fußende stand eine Holztruhe, auf dem rot-blau kariertes Bettzeug lag. Es gab außerdem einen Tisch mit vier Stühlen, zwei Kleiderschränke, ein Regal und ein Waschbecken mit einem hässlichen Spiegelschrank darüber.
Die Verteilung der Betten war schnell geklärt. Marieke hatte sich für das Bett ganz an der Wand entschieden, Janne daneben, weil sie unbedingt unter dem Fenster schlafen wollte. Pia und Laura teilten sich die Betten auf der anderen Seite.
„Ich werde noch wahnsinnig. Wie geht denn das? Ich hab so was noch nie gemacht“, klang es dumpf aus dem Bettbezug ganz links. Laura sah aus wie ein kariertes Gespenst. „Hast du bis jetzt in einem Schlafsack geschlafen, oder was?“, fragte Pia schnippisch in Lauras Richtung. „Wir haben zu Hause Personal für so was“, gab Laura gleichmütig zurück. „Vielleicht kannst du das für mich übernehmen. Deine Mutter hat dir das Betten machen doch bestimmt schon beigebracht als du noch ein Baby warst, oder?“
„Leute hört auf zu streiten. Wir müssen hier für längere Zeit miteinander klar kommen“, mischte sich Janne verärgert ein. So hatte sie sich ihren ersten Tag im Internat nicht vorgestellt. „Laura, ich zeige dir, wie das mit dem Bettzeug funktioniert und dann machen wir zusammen auch die anderen Betten klar. Ihr zwei werdet in der Zeit losziehen und unsere Koffer holen.“ Jannes Ton ließ keinen Platz für Widerspruch. „Man, wie viele Klamotten habt ihr bloß mitgenommen?“, ächzte Pia, als sie mit Marieke vollbepackt zurück ins Zimmer kamen. „Na ja, die Sporttasche da ist allein schon voll mit Hörbüchern, Asterix-Heften und meinem CD-Player. Ich hoffe, ihr mögt Harry Potter“, erklärte Janne etwas verlegen. „Zu blöd nur, dass wir hier keinen MP-3 Player benutzen dürfen. „Da sagst du was!“, beschwerte auch Laura sich. „Ich weiß nicht, wie ich hier ohne mein i-Phone, meinem Laptop und ganz zu schweigen von meiner Wii-Konsole überleben soll!“ „Hach Gottchen du Ärmste! Mir kommen die Tränen. Warum haben dich deine Eltern dann ausgerechnet hier hin geschickt?“, hakte Pia ärgerlich nach. „Meine Nanny hat das Internat ausgesucht weil sie glaubt, es tät mir gut und meine Eltern vertrauen ihrem Urteil. Ich hatte keine Wahl“, lautete Lauras traurige Antwort.
Pünktlich um halb zwölf waren alle in der Aula versammelt. Frau Götsch-Kruse betrat die Bühne und Stille trat ein. „Meine lieben alten und neuen Schülerinnen unserer wundervollen Schule Nordseestern. Ich möchte euch recht herzlich zu einem neuen, lehrreichen und hoffentlich erfolgreichen Schuljahr bei uns begrüßen. Ich hoffe, ihr werdet unsere Schule auch in diesem Jahr zu neuen Ehren führen gemäß dem Motto: Fragt euch nicht, was die Schule für euch tun kann, sondern immer, was ihr für die Schule tun könnt“, deklamierte Frau Götsch-Kruse salbungsvoll und schob ihre Brille, auf die sie offensichtlich angewiesen war, mit dem Zeigefinger die Nase hoch. „Für unsere Erstsemester gilt Folgendes: Tischdienst , immer zu zweit werdet ihr die Tische für alle eindecken und nach den Mahlzeiten wieder abräumen und anschließend abwischen. Schlafenszeit um 20.00 Uhr – ausnahmslos. Kein nächtliches Treiben auf in der Schule oder dem Gelände!“
Janne, Marieke, Pia und Laura schauten sich ungläubig an. Das konnte ja heiter werden! „Was erwartet sie denn, was hier nachts passieren könnte? Das Robert die Riesenrobbe über die Melkhorndüne robbt und uns zerquetscht?“,zischte Janne leise. Die anderen am Tisch mussten sich wider Willen das Lachen verkneifen.
Frau Götsch-Kruse fuhr unbeirrt fort. „Nach dem Mittagessen werdet ihr alle bei Frau Meyer-Erk, unserer Hausmutter, vorstellig werden. Dort bekommt ihr eure Schuluniform, in die ihr eure Namensschilder einzunähen habt.“ Von Laura war ein leises Stöhnen zu vernehmen und Pia grinste zu ihr hinüber.
„Um 15.00 Uhr trefft ihr euch mit Frau Klasing am Brunnen. Sie wird euch über das Schulgelände führen. Abendessen ist pünktlich um 18.00 Uhr. Ich dulde weder Verspätung, noch ungeordnete Kleidung oder schmutzige Hände. Und jetzt folgt mir in den Speisesaal.“
Der Speisesaal war groß und lichtdurchflutet. Von der stuckverzierten Decke hingen 6 wunderschön verzierte Kronleuchter, die dem Saal den Hauch eines Schlosses verlieh. Auf dem auf Hochglanz poliertem Parkett standen 14 runde Achtertische. Der Tisch der Erstsemester befand sich vis à vis dem des Lehrertisches, an dem bereits alle Plätze belegt waren.
Ein großes Büfett war am Kopfende des Saales aufgebaut, an dem sich die Schülerinnen nach Herzenslust bedienen durften. Das Essen war erstklassig. Als Vorspeise gab es gemischten grünen Salat mit frischen Nordseekrabben und gebratenem Speck. Die Hauptspeise bildete knusprig gebratenen Hähnchenschenkel mit Pommes und Rahmchampignons und der krönende Abschluss bestand aus Schokoladenpudding und frischem Obstsalat.
„Gewöhnt euch nur nicht dran. Das ist nur am ersten Tag so“, mahnte ein älteres Mädchen mit langen dunklen Haaren und leuchtend blauen Augen, das hinter Janne stand. „Ab morgen ist hier wieder Schmalhans Küchenmeister.“ „Was meinte sie damit?“, fragte Janne Pia, als sie wieder Platz genommen hatten. „Meine Mutter erzählt mir auch nicht alles, was hier abgeht“, raunte Pia mit Blick auf den Lehrertisch zurück. „Aber irgendwas ist hier im Busch.“
Die Hausmutter entpuppte sich als fröhliche Person, Anfang vierzig, mit einer frechen blonden Kurzhaarfrisur und lustigen Sommersprossen im Gesicht, die der Bezeichnung ‚Hausmutter‘ so gar keine Ehre machte. „Da seid ihr ja. Ich habe euch schon erwartet. Bitte nennt mich bei meinem Vornamen Marion, sonst komme ich mir uralt vor“, lachte sie. „Wenn irgendwas ist, ihr Sorgen habt oder ihr Hilfe braucht - ihr könnt jederzeit zu mir kommen. Ich habe sogar ein Wundermittel gegen Heimweh.“ Sie zwinkerte Marieke zu und drückte sie kurz an sich. „Ach, wissen sie, ich könnte dringend Hilfe gebrauchen. Könnten sie mir vielleicht die Namensschilder einnähen?“ , frech drängte Laura sich in den Vordergrund.
„Nun, meine Liebe, wir sind hier im Nordseestern der Meinung, dass Hausarbeit sehr zur Persönlichkeitsbildung beiträgt. Nicht umsonst landen viele Mädchen am Ende bei mir, wenn es darum geht, Strafarbeiten zu verrichten“, gab Marion trocken zurück. Die anderen konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, selbst Marieke lächelte. „Jetzt aber los mit euch, in einer halben Stunde ist das Treffen am Brunnen zur Schulbesichtigung. Pia, komm mich doch mit deinen neuen Freundinnen nächste Woche auf eine Tasse Kakao besuchen, hm?“ Sanft aber bestimmt schob sie die Mädchen aus der Wäschekammer. Diese wiederum sahen sich an. Freundinnen?? Wohl kaum!!
Ohne es zugeben zu wollen waren alle Vier froh, als um 20.00 Uhr die Vorhänge zugezogen und das Licht gelöscht wurde. Dieser Tag, der sich nun langsam dem Ende neigte, hatte es wirklich in sich gehabt. Von Ferne konnte man die Nordsee durch die geöffneten Fenster rauschen hören.
Schon am nächsten Morgen hatte sie der Schulalltag eingeholt. Sie bekamen ihre Klassenräume zugewiesen, notierten sich ihre Stundenpläne und nahmen die Unterrichtematerialien in Empfang. Ihre Klassenlehrerin hieß Frau Freitag, die auf keinen Fall Robinson genannt werden wollte, worauf einige Schülerinnen sie ganz verdutzt ansahen. Was hatte ein Wochentag mit Robinson zu tun, wollten die Mädchen wissen. Daraufhin erzählte ihnen Frau Freitag die Geschichte von dem Seemann Robinson Crusoe, der mehrere Jahre als Schiffbrüchiger allein auf einer Insel leben musste. Er hatte einen Wilden vor zwei Kannibalen gerettet und hat ihn Freitag genannt, denn an einem Freitag hatte er ihm das Leben gerettet. „Da hätten die Kannibalen an Frau Freitag aber lange zu essen gehabt“, murmelte Laura in Anspielung auf die recht fülligen Proportionen Frau Freitags. Doch das dickliche Aussehen stand im Gegensatz zu ihrem messerscharfen Verstand und treffsicherem Urteilsvermögen.
Ihre Klassenlehrerin unterrichtete Mathe und Deutsch, Jannes Lieblingsfächer. Sie hatte schon immer viel gelesen und Mathe fiel ihr einfach leicht. In der nächsten Zeit sollte sich das noch als wahrer Segen entpuppen, denn die anderen Mädchen ihrer Klasse waren längst nicht so weit. Janne wurde von ihren Mitschülerinnen einstimmig zur Klassensprecherin gewählt. Sie freute sich schon jetzt, dies so gaaanz nebenbei in dem nächsten Brief an ihre Eltern erwähnen.
Lustig war der Kunstunterricht bei Jutta Lange, die immer heimlich vor dem Unterricht aus dem Fenster heraus Zigarillos rauchte – trotz des strickten Rauchverbots auf dem gesamten Schulgelände! Sie verkörperte quasi das Gegenteil von Frau Freitag. Sie war groß, sehr hager, hatte lange wilde dunkle Lochen und trug immer selbst gebatikte Kleider in mehreren Schichten übereinander. Die vielen Armreifen klirrten bei jeder Bewegung, und sie unterstrich ihre Erklärungen immer mit weitschweifigen Gesten. „Mehr Farbe – ich will mehr Farbe! Das Bild muss leben! Es soll eine Geschichte erzählen! Haucht der leeren Leinwand Leben ein Kinder!“, rief sie immer voller Inbrunst und schwang ihren Pinsel wie ein Dirigent. „Diese Walla-Walla-Kleider sind doch echt praktisch. Bei ihrer Kleckserei braucht sie immer nur die oberste Schicht ausziehen und zack – wie neu“, wisperte Janne Marieke zu. Marieke biss sich in die Faust, um nicht laut los zu prusten. Die beiden hatten sich nach ihren Anfangsschwierigkeiten auf einen Waffenstillstand geeinigt, und inzwischen verstanden sie sich immer besser.
Englisch, Französisch und Erdkunde wurde von Frau Eimatenbrink unterrichtet. Sie war ganz begeistert von Mariekes Fremdsprachenkenntnissen. Außerdem kannte Marieke sich auf der Weltkarte ausgezeichnet aus. Kunststück – war sie doch jahrelang mit ihrer Familie kreuz und quer über den Globus gereist. Mariekes Eltern hatten als Clubchefs diverse Hotelanlagen in Florida, auf den Malediven, den niederländischen Antillen, in der Schweiz und zum Schluss auf Fuerteventura geleitet. Marieke und ihr Bruder sind entweder von Privatlehrern oder in internationalen Schulen unterrichtet worden.
Auf das Reiten freuten sich Janne und Marieke am allermeisten. Sie waren beeindruckt von den Leistungen der älteren Schülerinnen. Besonders Isabell, das Mädchen, das Janne bei der ersten Mahlzeit kennen gelernt hatte, sah toll aus, wenn sie mit Willi, ihrem Pferd über die Hindernisse flog. Isabell stand kurz vor ihrem Schulabschluss und hatte bereits die Reitlehrer-Lizenz erworben. Es stellte sich heraus, dass Janne und Marieke gut mithalten konnten. Janne tat sich besonders im Springen hervor. „Du solltest in der Schulmannschaft reiten“, hatte Isabell bereits nach der zweiten Reitstunde zu Janne gesagt, Ann-Kathrin sah das genauso. Sie durften Frau Klasing während des Reitunterrichts beim Vornamen nennen, sofern Frau Götsch-Kruse sich nicht in der Nähe aufhielt. „Das kommt aber so gut wie nie vor, sie hat nämlich eine Pferdehaarallergie“, schmunzelte Ann-Kathrin und zwinkerte Janne zu.
Marieke ritt für ihr Leben gerne Dressur oder Querfeldein. Ein Widerspruch vielleicht, aber sie hatte die Pferde in beiden Disziplinen voll im Griff. Laura entpuppte sich als geborenen Volti-Akrobatin. Die kompliziertesten Übungen bewältigte sie mit einer Leichtigkeit, die Seinesgleichen sucht. Selbst Pia, die auch gerne voltigierte, musste dies neidlos anerkennen. Beim Sportunterricht wirbelte Laura in Flic-Flacs durch die Halle, lief auf den Händen und wusste das Einrad vorwärts und rückwärts zu beherrschen. Außerdem liebte sie Musik. Frau Wengenroth, die Musiklehrerin mit einer blonden Allerweltsfrisur, jedes Mal den Tränen nahe, wenn Laura die Mondscheinsonate von Beethoven oder die Regentropfen von Chopin spielte.
Janne dagegen hatte mit Instrumenten nicht so viel zu tun. „Frau Wengenroth, ich sagte es ihnen doch bereits. Meine Mama hat auch schon versucht, mich zum Keyboard spielen und zur Blockflöte zu überreden. Sie hat mich hin und her kutschiert und die Stunden bezahlt. Ich hab mir auch echt Mühe gegeben, das müssen sie mir glauben, aber das Gefiedel und Gedudel liegt mir nun mal nicht. Ich höre gerne zu und singe auch ganz gut, aber Instrumente und ich werden vorerst keine Freunde mehr. Oder hätten sie vielleicht eine Triangel für mich?“ Frau Wengenroth seufzte tief und drückte Janne eine Rassel in die Hand. „Aber immer schön im Takt bleiben!“
Ein paar Tage später schreckte Janne mitten in der Nacht hoch. Ein gedämpftes Schluchzen drang an ihr Ohr. Marieke! Als wenn es die Hausmutter schon damals am ersten Tag geahnt hätte. Leise schlich Janne zu Mariekes Bett hinüber und schüttelte sie sanft. „Hey, ist es immer noch so schlimm für dich hier?“ „Was weißt du denn schon. Du hast ja keine Ahnung.“ „Dann erzähl es mir.“ „Warum ausgerechnet dir?“ „Weil sonst niemand hier ist, du Nase. Nein, im Ernst. Ich bin deine Freundin und außerdem sehen wir uns so ähnlich, dass wir Zwillinge sein könnten, was man von meiner echten Zwillingsschwester nicht behaupten kann.“ „Du bist ein Zwilling? Das ist ja krass. Warum hast du mir das noch nicht erzählt?“ Marieke richtete sich auf und sah Janne interessiert an. „Ach“, winkte Janne ab, „hört sich spannender an als es ist. Ich habe auch noch einen älteren Bruder, Tim. Der ist vierzehn und manchmal echt nervig!“ Janne kramte eine kleine Glasschale mit einem Teelicht aus ihrer Nachttischschublade hervor und zündete es mit einem Streichholz an. „Offenes Feuer ist zwar verboten, aber uns sieht ja keiner“, flüsterte Janne. „Ich habe auch einen älteren Bruder. Lennart heißt er. Und er durfte bei meinen Eltern bleiben. Mich dagegen habe sie weggeschickt.“ Marieke fing wieder bitterlich an zu weinen.
„Was ist denn los bei euch?“, grummelte Pia verschlafen. „Ja verdammt. Ich kann auch nicht schlafen, wenn ihr ständig quatscht“, maulte Laura von ganz links. „Ach, und was ist mit diesem Ich-darf-immer-Popstars-und DSDS-bis-zum-Ende-sehen-und-bin-nicht-müde-Gelaber?“, äffte Pia Laura mit geziertem Tonfall nach.
„Geht das schon wieder los!“, fuhr Janne die beiden wütend an. „Marieke geht es nicht gut. Sie hat schlimmes Heimweh und wir sollten ihr helfen, statt uns hier gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen.“
Laura und Pia schwiegen betreten. „Deine Mutter hat am ersten Tag von einem Wundermittel gegen Heimweh gesprochen. Meinst du, das stimmt?“, wandte sich Janne an Pia. „Wir könnten ja mal fragen. Einen Versuch ist es allemal wert. Wir, ich meine, meine Mutter hat ein kleines Cottage hinter dem Küchen- und Hauswirtschaftstrackt. Ihr habt es damals bei der Führung von weitem sehen können.“ „Ach, ich dachte, es wäre eine Art Geräteschuppen oder so was.“ Laura stockte. „Verzeihung, ich hab es echt nur von weitem gesehen.“ „Nicht mehr lange und ich werde dir in deinen verwöhnten Hintern treten!“, fuhr Pia Laura fuchsig an.
„Na toll! Weckt doch gleich das ganze Haus auf, ihr blöden Streithammel! Also, wie komme ich am schnellsten zu dem Haus deiner Mama?“ Janne war diese ewige Hick Hack zwischen Pia und Luise so was von leid! „Am besten, du gehst am Brunnen rechts vorbei, dann weiter links an der großen Kastanie über den Trampelpfad zur Koppel und wieder links am Gewächshaus vorbei. Ach weißt du was? Ich komme besser mit. Dann geht es schneller.“
„Ich komme auch mit. Schließlich riskiert ihr eine Strafarbeit nur wegen meines bescheuerten Heimwehs“, meldete sich Marieke zu Wort, wischte sich die Tränen ab und schlüpfte in ihre Turnschuhe, die unter ihrem Bett standen.
„Ihr könnt mich doch hier nicht alleine lassen! Ich komme auch mit.“ Entschlossen zog Laura ihren flauschigen Morgenmantel über und schlüpfte in ihre mit Bommeln besetzten Plüschpantoffeln. Die anderen zogen sich ihre Trainingsjacken über, Janne pustete das Teelicht aus und gemeinsam schlichen sie aus dem Zimmer. Als sie am Brunnen vorbei rannten erstrahlte plötzlich der gesamte Vorplatz des Internats in vollem Licht.
„Mist, die Bewegungsmelder hatte ich total vergessen!“, rief Pia erschrocken. „Schnell, hier entlang.“ Schließlich gelangten sie über den matschigen Reitpfad und einem Kiesweg zu dem Cottage. Pia wollte schon klingeln, als Janne ihr von hinten auf die Schulter tippte und in den Garten deutete. „ Pssst! Ich höre Stimmen da hinten.“ Sie schlichen in den Garten und versteckten sich hinter einem großen Rhododendronbusch. Auf der Gartenbank saßen Pias Mutter und ein Mann, dessen Gesicht nicht zu erkennen war. Sie tranken Wein und schauten in das Feuer, welches in einer großen Eisenschale auf dem Boden loderte.
„Hast du es deiner Tochter schon erzählt?“
„Wann denn, es war so viel los in der letzten Zeit.“
„Das ist ja Henning“, flüsterte Janne erfreut, „den find ich richtig nett. Und süß ist er auch.“ Pia sah so aus, als ob sie das ganz und gar nicht zum Spaßen fand. „Du musst ja auch nicht deiner Mutter beim flirten zusehen, oder?“ „Die flirten doch gar nicht. Sie unterhalten sich bloß“, warf Marieke ein. „Na wer’s glaubt“, kam es lapidar von Laura, worauf sie einen mehr als zornigen Blick von Pia kassierte.
„Du hattest die ganzen Sommerferien Zeit, ihr von uns zu erzählen. Schließlich sind wir keine Teenager, die sich und ihre Gefühle verstecken müssten.“
„Ich weiß, aber Pia war sowieso schon so verzweifelt, da sie nicht mehr bei mir sondern im Internat schlafen muss.“
Janne, Marieke und Laura sahen Pia verwundert an. Pia? Verzweifelt? War ihnen gar nicht so vorgekommen. Sie schien immer so cool zu sein.
„Ich glaube, ihr ist es vor den anderen Mädchen peinlich, dass ich hier als Köchin und Hausmutter arbeite“, fuhr Pias Mutter unterdessen fort.
„Und jetzt komme ausgerechnet ich als Haus- und Hofmeister ins Spiel. Das wäre sozusagen der Supergau für Pia, hm?“
„So habe ich das nicht gemeint und das weißt du auch. Ich denke eher an die Andeutung, die Frau Götsch-Kruse neulich gemacht hat von wegen Schließung der Internatsküche, Stichwort Kostensenkung und so weiter. Sie mochte mich ja noch nie so besonders, und seit des Vorfalls beim Sommerfest letztes Jahr. Sie sucht nur noch eine passende Gelegenheit um mich feuern zu können.“
„Du spinnst. Und außerdem, wer soll denn sonst den Laden hier schmeißen? Sollen etwa die Zivies aus dem Schwedenhaus für das Internat mit kochen? Lächerlich! Aber was war denn nun auf dem Sommerfest?“
„Na ja, ich habe mich mit dem Inselmaler Harry unterhalten und als das Fest zu Ende war, sind wir noch auf ein Glas Wein zu ihm auf seine Terrasse gegangen. Er hat mir erzählt, wie sehr er seine Frau vermisst und er sich sehnlichst wünscht, dass sie hier auf Langeoog eine Festanstellung bekommt und so weiter. Jedenfalls läutete es später und Frau Götsch-Kruse stand mit einer Flasche Champagner in der Hand vor seiner Tür. Ich habe mich schnell verabschiedet, aber die Blicke von ihr hätten töten können, ich schwörs dir!“
„Harry ist diese Dauerbelagerung der Lehrerinnen des Internats inzwischen echt lästig. Wusstest du, dass die Freitag ihm immer Kuchen bringt, und die Lange ständig ihre jüngsten Kunstwerke zu ihm schleppt, um sein Urteil zu hören? Das hat er mir mal bei einem Bier in der Düne 13 erzählt“, lachte Henning. „Und jetzt auch noch die Chefin mit Champagner!“
„Ich habe mich für alle Fälle schon mal nach einer neuen Stelle umgehört. Auf Norderney macht bald ein neues Clubhotel auf. Die würden mich liebend gerne für das Hauskeeping einstellen. Ich habe mir noch eine Bedenkzeit ausgebeten.“
„Wann genau wolltest du mir davon erzählen?! Ausgerechnet Norderney! Die Insel der Reichen, Schönen und Spinner!“, rief Henning aufgebracht. „ Ich dachte, du würdest mit Pia zu mir ziehen, wenn sie einverstanden ist. Dann hättest du Abstand vom Schulbetrieb und ich wäre nicht mehr alleine in dem großen Haus. Wir könnten eine richtig Familie werden!“ Er sprang auf und schritt vor dem Feuer auf und ab, wobei er dem Rhododendronbusch gefährlich nahe kam.
Vorsichtig auf leisen Sohlen schlichen sich die Vier wieder zurück zum Haupthaus. Um den Brunnen machten sie allerdings einen großen Bogen. Sie drückten sich an der Hauswand entlang zu dem Nebeneingang, den sie auf gelassen hatten und waren froh, dass sie unbeschadet in ihr Zimmer gelangen konnten.
„Man, das waren aber viele Infos auf einmal“, brach Janne das Schweigen.
„Das Hotel auf Norderney, von dem die Rede gewesen war, haben meine Eltern gekauft. Sie hatten die Wahl zwischen Fehmarn und Nordsee. Nach Fuerteventura soll das jetzt die sozusagen die Endstation für die Familie sein. Mein Bruder macht ein Praktikum im Inselhotel König und mich haben sie nach Langeoog verschifft“, seufzte Marieke und schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter.
„Mit den Spinnern meinte Henning sicher Leute wie mich, die immer nur von Personal statt von der eigenen Familie umgeben waren. Ich wünschte, ich hätte einen Bruder, der mich ärgert, eine Mutter, die mir Räuberpistolen erzählt oder einen Vater, der Pizza backen kann.“ Wütend knallte Laura ihre ruinierten Pantoffeln in den Mülleimer. „Seht mich doch mal an! Wie ein Püppchen renne ich hier rum. Wisst ihr, dass ich noch nie Löcher in der Hose hatte oder Dreck oder den Fingernägeln hatte?“
„Wie kommt es eigentlich, dass du so wahnsinnig gut turnen kannst, wenn du dich doch eigentlich nicht ohne Erlaubnis bewegen durftest?“, wollte Janne wissen. „Meine Nanny war Leistungsturnerin und hat mich immer mit zum Training genommen. Das war mir allemal lieber als zu Hause in dieser riesigen Hütte zu bleiben. Meine Eltern waren erst dagegen, aber als sie merkten, dass ich sie weniger nervte…ähh, ich meine, dass mir der Sport gut tat, beließen sie es dabei.“
„Henning, wer hätte das gedacht“, sagte Pia gedankenverloren. „Wer hätte das gedacht. Egal. Wenn Mama geht, werde ich mitgehen müssen.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, rief Janne bestürzt. „Wir werden jetzt einen Packt schließen, los kommt her.“ Sie legten alle ihre Hände übereinander. „Wir bleiben zusammen was immer auch komme, Stock-Ente, Stock-Ente, Stock-Ente!“, beschworen sie im Chor.
„Das muss gefeiert werden. Gut, dass ich noch Toffifee dabei habe“, kicherte Laura und kramte eine Schachtel aus ihrem Schrankkoffer hervor.
„Weniger nervte… wie wahr! Ich lach mich tot“, spottete Pia und nahm ein Toffifee. „Glaub man nicht, ich hätte das nicht gehört, Laura!“
„Was macht eigentlich dein Heimweh?“, wandte Janne sich Marieke, denn irgendwie schien der Grund ihres nächtlichen Ausflugs bereits vergessen zu sein. Marieke grinste mit dem Mund voller Schokolade: „Heimweh? Wie weggeblasen!“ Die Mädchen sahen sich an und vielen sich lachend um den Hals. Eine Nacht wie diese schweißt zusammen, aber diesen Zusammenhalt werden sie noch brauchen, denn das dicke Ende sollte nicht lange auf sich warten lassen.
Nach nur wenigen Stunden Schlaf wurden sie um 6.00 Uhr unsanft aus ihren Träumen gerissen. Nach kurzem aber heftigem Klopfen stand Frau Klasing mit zorniger Mine in der Tür. „Das habe ich noch nicht erlebt. Gerade mal ein paar Wochen hier und die Hälfte der Erstsemester verstößt gegen die wichtigste Schulregel! Was um alles in der Welt hattet ihr um halb zwölf Uhr Nachts auf dem Hof zu suchen? Ihr zieht euch jetzt sofort an. Frau Götsch-Kruse erwartet euch bereits“, polterte Frau Klasing, die offensichtlich den ersten Ärger der Internatsleiterin über sich hat ergehen lassen müssen. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt jemals schläft“, murmelte sie beim Hinausgehen.
Sichtlich zerknirscht standen die vier Mädchen vor dem pompösen Schreibtisch der Leiterin. Diese musterte sie streng mit ihren eisgrauen Augen, die merkwürdig vergrößert durch die dicken Brillengläser wirkten. Ihr Haar, das fast die gleiche Farbe hatte, war zu einem strengen Knoten gebunden. „Nun, ich höre.“
Janne meldete sich zuerst zu Wort: „Das ist alles meine Schuld. Ich hatte so furchtbares Heimweh und dachte…“ Weiter kam sie nicht. „Nein, Frau Götsch-Kruse, ich war diejenige mit dem Heimweh. Janne wollt nur…“, fiel Marieke ihr ins Wort, kam aber auch nicht weiter. „Ich hatte die Idee mit dem Heimwehwundermittel meiner Mutter“, beeilte sich Pia zu sagen. „Und ich konnte die drei doch nicht alleine gehen lassen“, schob Laura hinterher. „So ein Quatsch, du hattest bloß Schiss, alleine in der Stockente“, zischte Pia.
„Nun ist aber Schluss! Heimwehwundermittel, das sieht deiner Mutter ähnlich. Ich glaube, ich spinne! Ihr werdet Strafarbeiten erledigen und zwar nicht zu knapp. In meiner ganzen Laufbahn ist mir so was noch nicht untergekommen. Da schleichen nachts vier Erstsemester über das Gelände, es hätte sonst was passieren können!“
„Ja“, murmelte Janne und unterdrückte ein Kichern, „ zum Beispiel Robert die Riesenrobbe.“
„Das ist hier kein Spaß, Janne. Gerade von dir hätte ich mehr Verantwortungsbewusstsein erwartet. Immerhin bist du die Klassensprecherin. Ich werde eure Eltern informieren und ihr meldet euch morgen nach dem Unterricht bei Frau Meyer-Erk in der Küche. Eine Frage noch: reitet ihr gerne?“
„Ja“, klang es wie aus einem Munde.
„Bis auf weiteres gestrichen“, beschied die Direktorin kurz angebunden, stand auf und wandte sich mit verschränkten Armen zum Fenster. „Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ihr könnt jetzt gehen.“
„Das ist in der Tat ein neuer Rekord“; stellte Marion fest, als die Mädchen am Nachmittag die Küche betraten. „Gleich vier Helfer auf einmal, das gab‘s noch nie. Ich will ja gar nicht wissen, was ihr nachts da draußen gesucht habt, aber wisst ihr denn nicht, dass Frau Götsch-Kruse Augen und Ohren überall hat, bei Tag und bei Nacht?“
„Ich habe nicht an die Bewegungsmelder gedacht, Mama.“
„Das Gelände ist nicht nur mit Bewegungsmeldern ausgestattet, sondern wird auch von Kameras überwacht, müsst ihr wissen. Vor dem Haupttor, über allen Nebeneingängen und beim Pferdestall sind Kameras installiert. Das alles beaufsichtigt die Chefin höchst selbst von ihrer Schaltzentrale, sprich ihrem Direktionszimmer aus.“
„Woher weißt du das?“, fragte Pia erstaunt. „Ach, Henning unser Hausmeister hat es mir erzählt. Er hat die ganze Technik angebracht und angeschlossen“, erklärte Marion mit einem Hauch von Stolz in der Stimme.
„Warum ist es eigentlich so streng verboten, nachts über das Gelände zu laufen?“, wollte Janne wissen. „Das ist eine lange Geschichte und gehört jetzt nicht hierher“, bestimmte Marion ungewöhnlich wortkarg. Dann hakte sie sich betont munter bei Laura unter. „So, du und Pia werdet Kartoffeln schälen. Außerdem warten noch 20 große Gemüsezwiebeln auf euch. Janne und Marieke, ihr werdet im Gemüsegarten gebraucht. Das Unkraut glaubt schon wieder, dass es gegen die Erbsen und Möhren gewinnt.“ Sie schrubbten den Herd, schnitten die Rasenkanten, brachten die Bettwäsche zur Heißmangel, bügelten Geschirrtücher, sammelten Müll – es wollte kein Ende nehmen. Es waren harte zwei Wochen, die sie mit Unterricht, Hausaufgaben und Strafarbeit verbringen mussten. Trotz des wunderbaren Sommerwetters schafften sie es kaum einmal an den Strand. Abends fielen sie fix und fertig in ihre Betten.
„Leute, wir müssen uns jetzt mal ums Pia’s Problem kümmern“, sagte Janne eines Nachmittags, als sie zusammen in ihrer Lieblingsecke zusammen saßen. Auf den Strohballen unter dem Schleppdach des Pferdestalls machten sie es sich gerne gemütlich. „Hat deine Mutter schon was wegen Norderney verlauten lassen?“
„Nee, aber ich habe neulich mitbekommen, dass Mama Frau Freitag gefragt hat, wo denn die Chefin sei. Mama sollte einen Picknickkorb für sie herrichten. Daraufhin hatte Frau Freitag ganz pikiert geantwortet, die Chefin sei bereits ohne Korb zum Herrn Inselmaler gegangen. Er stehe wohl doch eher auf eisgrau denn auf wohlgenährt.“
„Häh?!!“, machten Marieke und Laura.
„Man, seid ihr schwer von Kapee. Die Freitag ist auch verknallt in den Pinselfuzzi und glaubt, die Götsch-Kruse auch“, erklärte Janne in einem Ton eines Lehrers, der erklären muss, dass eins und eins zwei ist.
„Und weil die Götsch-Kruse denkt, deine Mama will auch was von ihm, will sie sie loswerden“, schlussfolgerte Marieke.
„Aber meine Mama will doch gar nichts von dem!“
„Das weiß aber die Götsch-Kruse doch nicht! Schließlich hat sie die beiden damals zusammen in seinem Haus überrascht. Der Picknickkorb war sicher nur reine Schikane. So war deine Mama beschäftigt und die Götsch-Kruse konnte sich schon mal auf den Weg machen.“ Janne spann den Faden noch weiter. „Das heißt, wir müssen unserem Freund der seichten Inselmalerei klar machen, dass er unserer liebenswerten Internatsleiterin reinen Wein einschenkt.“
„Klingt ein wenig verknödelt Janne, aber der Maler ist anscheinend der Schlüssel.“ Marieke dachte kurz nach und fuhr fort: „Aber mal im Ernst, kann sie die Schließung der Küche einfach so mir nichts dir nichts entscheiden? Ich meine, da hängt ja nicht nur der Job deiner Mutter dran.“ Damit hatte sie natürlich völlig Recht.
„Weißt du was, Pia? Du solltest deine neuen Freundinnen, die Stockenten, zum Kakao bei deiner Mutter ankündigen“, beschloss Janne und warf einen Blick in die Runde. Alle nickten. „Ich kümmere mich drum“, erklärte Pia. „Dann wäre das ja geklärt. Leute, es ist so ein heißer Tag heute. Wollen wir nicht zum Strand runter, oder hat noch jemand Hausaufgaben zu machen?“ Janne klatschte unternehmungslustig in die Hände und stand auf. „Du hast gut reden. Dieses halbschriftliche Dividieren und Multiplizieren macht mich fertig“, stöhnte Laura. „Ach komm schon“, quengelte Marieke gespielt wie ein nölendes Baby. „Janne und ich helfen dir nachher dabei. Zusammen macht das Baden doch viel mehr Spaß. Übrigens wisst ihr eigentlich, dass wir in all den Wochen noch nicht einmal auf dem Wasserturm waren? Wir sollten echt mal eine Radtour über die Insel machen. Janne meint, dass es morgens auf dem Turm am Schönsten ist.“
„Wie wäre es, wenn wir das Sonntag in Angriff nehmen. Dann ist Sonntag morgens sind noch nicht so viele Touries unterwegs. Ich führe euch anschließend in die Super-Eisdiele von Langeoog. Das Zitronen-Eis schmeckt zum Niederknien hmmm“, schwärmte Janne mit geschlossenen Augen und leckte sich über die Lippen. Und so schnappten sich die Mädchen ihre Badesachen, packten ein Beach-Ball-Spiel, einen Volleyball und was zum Naschen dazu und machten sich über den holprigen Weg quer durch die Dünen. Am Strand trafen sie die Mädchen aus der Moorhenne. Sie lieferten sich ein tolles Volleyballmatch und tobten im Wasser, bis es Zeit war, zum Abendessen zurück zur Schule zu wandern.
„So, während ihr euch jetzt um Mathe kümmert, gehe ich zu Mama und mache unseren Besuchstermin (sie betonte das Wort, indem sie es in mit den Fingern in Anführungszeichen setzte) mit Mama klar. Lasst mir die Aufgaben zum Abschreiben auf dem Tisch.“
„Pia, es geht nicht darum, die Hausaufgaben zu haben. Du musst sie auch kapiert haben“, warf Marieke ein. „Alles klar, Frau Freitag. Und legen sie mir bitte Englisch und Französisch gleich dazu“, grinste Pia zurück.
„Ich werde mal mit ihr reden“, sagte Janne auf dem Weg zur Stockente. „Ich habe da so eine Ahnung. Vielleicht gibt sie sich keine Mühe mehr weil sie denkt, dass sie im nächsten Jahr eh nicht mehr hier sein wird. Ich glaube, sie spielt die Lustige wieder mal nur.“
Am nächsten Morgen überraschte Frau Götsch-Kruse die Schülerinnen mit einer tollen Neuigkeit. „Ihr Lieben! Die älteren von wissen schon, was jetzt kommen wird. Wie immer in der ersten Septemberwoche steht das Besucherwochenende an. Und wie jedes Mal werden wir zu diesem Anlass ein großes Schulfest veranstalten. Das heißt, wir haben noch vier Wochen für die Vorbereitungen. Neben dem traditionellen Springreitturnier wird es erstmalig auf Wunsch der Reitlehrer in diesem Jahr auch ein Dressurwettkampf geben. Offensichtlich sind unter den Erstsemestern ein paar Reittalente verborgen“, fügte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu. „Ich erwarte weitere Programmvorschläge, die bei den jeweiligen Klassenlehrerinnen abzugeben sind, bis Mittwoch auf meinem Schreibtisch.“ Damit rauschte sie aus dem Speisesaal.
Augenblicklich erfüllte aufgeregtes Getuschel den Raum. Die Mädchen sprühten geradezu vor Ideen. „Meinst du, sie hat uns mit dem ‚Talent‘ gemeint?“, raunte Janne Marieke zu. „Wen denn sonst?! Nee, im Ernst, es muss ihr schon sehr schwer gefallen sein. Sie hat uns unseren nächtlichen Ausflug immer noch nicht verziehen. Ich würde zu gerne wissen, was damals hier passiert ist“, gab Marieke zurück.
Der Nachmittag bei Pias Mutter war sehr aufschlussreich. Marion versprach, mit Harry zu reden, bezweifelte aber, dass Frau Götsch-Kruse von ihrem Plan, Marion loswerden zu wollen, Abstand nehmen würde. „Woher wisst ihr das alles eigentlich? Habt ihr irgendwo gelauscht?“ Die schuldbewussten Gesichter sprachen Bände. „Aha, der nächtliche Ausflug mit anschließender Strafarbeit??“ „Wir hatten nie die Absicht zu lauschen, das müssen sie uns glauben“, sprudelte es aus Janne hervor. „Ja, wir wollten nur das Heimwehwundermittel von ihnen, weil es mir so schlecht ging. Die anderen wollten mir nur helfen“, bekräftigte Marieke heftig.
„Es ist zwar nicht die feine englische Art, aber Schwamm drüber“, winkte Marion ab. „Es tut mir nur leid, dass du so von Henning und mir erfahren musstest, Pia.“
„Mama“, begann Pia schmeichelnd, die eine Chance witterte, „du weißt doch sicher, was damals passiert ist, oder?“
„Sagen wir mal so. Frau Götsch-Kruse und ich teilen dasselbe Geheimnis, und das kann sie mir nicht verzeihen.“ Mit dieser undurchsichtigen Andeutung entließ sie die Mädchen. „Und jetzt ab mit euch an den Strand. Genießt die Sonne!“
„Wann hier wohl endlich mal Shuttlebusse eingesetzt werden?“, nörgelte Laura nicht zum ersten Mal. „Gib mir ‚nen Zehner und ich trag dich, du zartes Pflänzchen“, neckte Janne. „Hey, das ist normalerweise mein Text! Ich bin für die Normalo-Erziehung von unserem Püppchen zuständig!“, ermahnte Pia Janne. Als sie es sich auf ihrer Lieblingsdüne gemütlich gemacht hatten maulte Laura: „Und jetzt sind wir genauso schlau wie vorher.“ „Nein, stimmt nicht. Immerhin wissen wir, dass der Inselmaler nichts mit dem ganzen Scheiß zu tun hat jetzt“, stellte Janne sachlich fest. „Aber dass die Götsch-Kruse uns nicht leiden kann ist meine Schuld. Ich bin nun mal die Tochter der anderen Geheimnisträgerin.“ „So was nennt man Sippenhaft. Wir sollten dich jetzt verstoßen. Wer ist dafür?“, lachte Marieke und boxte Pia in die Seite.
Das Sommerfest rückte in Riesenschritten näher und Einladungen wurden an die Familien verschickt. Alle steckten bis zum Hals in den Vorbereitungen. Janne und Marieke verbrachten fast sämtliche Nachmittage auf dem Reitplatz. Sie wollten auf keinen Fall die Schule blamieren. Marieke über immer und immer wieder komplizierte Abläufe mit Corofino und Janne versuchte sich unterschiedliche Springparcours einzuprägen. Laura hatte vor, als Marktschreier zu fungieren. Als Clown verkleidet wollte sie mit dem Einrad über das Schulgelände fahren um lautstark die verschiedenen Darbietungen anzukündigen. Pia bereitete einen hübschen Verkaufsstand vor, um den Gästen Obstspieße und frische, selbstkreierte Obstsäfte anzubieten.
Am Abend bevor das große Fest starten sollte, kam Marieke völlig niedergeschlagen in die Stockente. Sie hielt einen geöffneten Brief in der Hand. „Ich wusste, dass es nichts Gutes zu bedeuten hat, wenn mir meine Eltern außer der Reihe Briefe schreiben. Sie können nicht zum Fest kommen, weil sie noch so viel wegen der Neueröffnung des Hotels zu tun haben.“
„Na und, was soll‘s“, bemerkte Laura leichthin. „Meine Regierung wird auch nicht kommen. Und das haben sie mir nicht mal selbst geschrieben, wie übrigens keinen der Briefe, die ich bisher erhalten habe. Sie ziehen eine Kreuzfahrt in der Südsee der Nordsee vor.“
„Erinnerst du dich daran, dass ich dir vor gar nicht langer Zeit kräftig in deinen verwöhnten Allerwertesten treten wollte? Das nehme ich auf der Stelle zurück. Wenn ich je deine Eltern zu Gesicht bekomme, werde ich ihnen in ihre oberflächlichen, selbstsüchtigen, unverantwortlichen Hintern treten, worauf du Gift nehmen kannst!“, explodierte Pia auf einmal und sah aus wie eine wild gewordene Furie.
„Dann werden sie dich auf Schadensersatz verklagen. Nun komm mal wieder runter. Ich bin es ja nicht anders gewohnt.“ Laura nahm eine Schachtel Pralinen aus ihrem Nachtschrank. „Hier, die sind zusammen mit der Absage und 50 Euro gekommen.“ Laura tat den anderen auf einmal schrecklich leid. Janne stand auf und nahm sie fest in den Arm.
„Trotzdem, meine Eltern sind nur ein paar Inseln weiter und nicht am anderen Ende der Welt“, bockte Marieke und schloss sich der Umarmung an. „Gruppenkuscheln!“, rief Pia sprang auch die Mädchen, so dass sie alle auf Lauras Bett fielen, welches mit einem lauten Krachen zusammenbrach. Die Mädchen lachten, bis ihnen die Tränen über die Wangen liefen. „Henning kriegt das bestimmt wieder hin“, gluckste Janne.
Marieke wollte trotzdem am nächsten Morgen Janne zum Bahnhof begleiten. Sie war neugierig auf Jannes Familie. Sie setzten sich in Hennings Kutsche und machten sich auf den Weg. Langsam kroch die rote Lokomotive mit ihren vielen bunten Waggons in den Bahnhof. Kaum, das die Türen geöffnet wurden, stürmte ein Hund aus einem gelben Waggon und eine laute Stimme dahinter ertönte fast zeitgleich. „Ferris, hierher!“ Janne machte Augen wie Tennisbälle und schrie ebenfalls: “FERRIS!! Mein Süßer! Komm zu mir!“ Ferris erkannte Janne sofort und sprang wie ein Kaninchen auf sie zu. „Das ist ja ein schöner Hund“, ganz begeistert tätschelte Marieke Ferris, doch dann sprang sie plötzlich auf. „Mama, Papa! Ihr seid ja doch gekommen! Boah ist das toll!“ Sie rannte los, um ihren Eltern in die Arme zu springen. Jannes und Mariekes Eltern hatten sich offensichtlich schon bei der Anreise kennen gelernt, denn sie stiegen alle zusammen aus demselben gelben Waggon. „Ferris, fuß“, schallt es noch mal laut über den Platz. Etwas weiter entfernt stand Jannes Bruder Tim mit einem Halsband, von dem sich Ferris offensichtlich losgerissen hatte, und der roten Hundeleine in der Hand. Zu Jannes großem Erstaunen gehorchte der Hund sofort und lief zu Tim. „Hallo Schwesterlein! Immer schön die Reihenfolge einhalten, was?“, lachte Lena und drückte Janne fest an sich. „Mensch, dass ihr zwei auch mitgekommen seid ist echt super! Lena, du hattest Recht. Die Schule ist klasse! Wie habt ihr Ferris dazu bekommen, so lange im Auto sitzen zu bleiben?“ Alles sprudelte nur so aus Janne heraus.
„Jetzt lasst uns doch erst mal ankommen. Wir müssen das ja nicht alles hier auf dem Bahnhof besprechen, oder?“, lachte Kerstin und nahm Janne in den Arm. „Wir haben uns im Schwedenhaus eingemietet. Die haben nicht gegen Hunde, wie du weißt“, sagte Jannes Vater Jürgen, der eine große Karre für das Gepäck besorgt hatte. „Annette, Jörg, wir sehen und später auf dem Fest!“, er Mariekes Eltern zu. „Nette Leute“, sagte er an seine Frau gewandt. „Wir sollten mal auf Norderney Urlaub machen.“ „Das ist eine Spinnerinsel. Lasst uns lieber wieder nach Fano fahren“, entschied Janne, als ob damit alles zu diesem Vorschlag gesagt wäre.
Das Wetter zeigte sich von seiner Schokoladenseite und auf dem Schulgelände herrschte reger Betrieb. Jannes und Mariekes Familien ließen sich erst die Stockente, die anderen Räumlichkeiten und schließlich das gesamte Schulgelände zeigen. „Pass bloß auf Tim, dass man dich hier nicht beim Nasepopeln erwischt. Hier sind überall Kameras installiert“, sagte Janne mit erhobenen Zeigefinger zu Tim, als sie den großen Brunnen umrundeten. „Und warum sagst du das zu mir und nicht zu Lena?“, blaffte Tim zurück. „Siehst du, er hat sich in den letzten Monaten nicht verändert, oder?“, spöttelte Lena.
Sie lernten die Klassenkameradinnen kennen und waren beeindruckt von allen Vorführungen und spendeten Janne und Marieke nach ihren Reitauftritten frenetischen Applaus. Janne hatte für ihre Mannschaft die meisten Punkte erzielt. Sie war zwar nicht als Schnellste, wohl aber absolut fehlerfrei den Parcours geritten! Stolz wie ein Pop-Star-Gewinner nahm sie den Pokal von Frau Götsch-Kruse in Empfang, die diesmal nicht schief sondern richtig zu lächeln schien. „Sag mal, hat sie das Talent von dir“?, fragte Jürgen, Jannes Vater, erstaunt seine Frau, während er wie wild applaudierte. „Nein, ich bin Nichtreiter“, antwortete Kerstin lachend. Sie war glücklich, ihre Tochter so fröhlich und selbstbewusst zu sehen.
Später saßen alle in schönster Eintracht an einem Tisch unter der großen Kastanie. Auch Marion und Henning hatten sich dazu gesellt, weil sie die Eltern von Janne und Marieke kennen lernen wollten. „Ich bin immer noch ganz hin und weg, dass ihr doch noch gekommen seid“, seufzte Marieke glücklich. „Nun ja“, sagte Anette, während ihr Mann Jörg gespielt desinteressiert in die Baumkrone blickte und tat, als ob er pfeifen würde. „Nachdem mir dein Vater von seiner Heldentat, den Besuch hier abzusagen, gebeichtet hatte, habe ich ihm ein paar Fragen gestellt. Warum er zum Beispiel so viele Mitarbeiter eingestellt hat und sogar einem Hotelmanager einen Haufen Geld bezahlt, wenn er am Ende doch alles selber machen will.“ „Da fällt mir ein, dass wir uns noch wegen der Stelle fürs Hauskeeping unterhalten müssen. Witzig, dass du Pias Mutter ist“, sagte Jörg zu Marion gewandt, und es schien, als wolle er von Thema ablenken. Janne und Marieke unterdessen warfen sich besorgte Blicke zu. Gut, dass Pia noch an ihrem Stand zu tun hatte.
„Immer im Dienst, was?“, plauderte Jannes Mutter weiter. „Jürgen war auch nicht so leicht zum Kurzurlaub zu überreden. Dabei ist es doch nur eine Nacht. Ich musste ihn tatsächlich erneut von der fabelhaften Einrichtung des Betriebshilfsdienstes überzeugen.“ „Und wofür habe ich denn wohl sonst die Hundeschule mit Ferris besucht! Nur damit Janne Ferris endlich mal wieder sehen kann! Jetzt ist er im Auto fromm wie ein Baby“, warf Tim ein. „War der Hund mit dir oder du mit dem Hund in der Schule?“, fragten Janne und Lena wie aus einem Mund. „Das genau ist der Grund, warum ich euch überhaupt nicht vermisse“, erwiderte Tim trocken. „Kinder, wie wär’s, wenn ihr uns noch eine Runde von diesem fantastischen Saft besorgt“, sagte Jürgen und drückte Janne etwas Geld in die Hand. „Du musste deinen Eltern sagen, dass sie Pias Mama nicht einstellen dürfen“, zischte Janne Marieke zu, kurz bevor Pias Saftstand erreicht hatten.
„Leute, wo wir hier so nett zusammen sitzen; wie wäre es, wenn wir zum Abschluss im Dorf etwas essen gehen? Michèle macht die beste Pizza, die ihr jemals gegessen habt“, schlug Henning vor. „Ich bestelle einen großen Tisch für uns alle und wir fahren mit einer Pferdekutsche.“ „Schaffen wir das noch vor der letzten Fähre?“, fragte Jörg skeptisch, aber Annette stieß ihm unsanft in die Rippen. „Natürlich schaffen wir das. Und wenn nicht, bleiben wir halt auch eine Nacht hier, wie Steinkamps.“ „Ich sage unseren Kindern Bescheid und Laura nehmen wir auch mit. Die Arme hat heute keinen Besuch bekommen und ihren Job als Marktschreierin großartig gemacht. Wir bauen schnell den Saftstand ab und kommen dann Kutschplatz.“
Es wurde ein lustiger Ausklang eines perfekten Tages, als alle an einer großen Tafel beisammen saßen. Die Pizzen waren wirklich fabelhaft. „Fasst so gut wie deine selbst gemachte zu Hause, Papa“, stellte Janne fest. „Aber wie um alles in der Welt kann man nur Schnecken essen?“, fragte sie Laura und blickte auf das brutzelnde Pfännchen. „Mama schneidet sie zu Hause im Garten immer mit der Gartenschere durch. Das ist voll ekelig.“ „Erstens, das sind Weinbergschnecken und keine Nacktschnecken, die Laura da isst. Und zweitens, ja, die einen streuen Salz drüber, ich schneide sie durch, denn ich will sie töten, nicht würzen. Aber wir sollten das Thema wechseln“, fügte Jannes Mama schnell hinzu, als sie die entsetzten Gesichter der anderen bemerkte.
„Seht mal, da kommt Harry, der berühmte Inselmaler“, sagte Marion plötzlich und winkte in Richtung Eingangstür. Harry kam mit seiner Begleitung an den Tisch. „Hallo alle zusammen. Da hatten wir anscheinend die gleiche Idee. Wir wollen uns auch ein schönes Essen gönnen, wir haben nämlich was zu feiern. Darf ich euch meine Verlobte Sigrid, genannt Siggi vorstellen?“ Stolz legte er den Arm um Siggis Schulter. Alle riefen „Glückwunsch!“ und „Gratuliere!“. Siggi schaute Harry verliebt in die Augen und sagte: „Danke euch allen. Wisst ihr, Harry ist der gutaussehendste und netteste Mann, den ich je kennen gelernt habe. Wenn ich ihn um einen Gefallen bitte, zögerte er nicht eine Sekunde, selbst wenn er dazu eine Landkarte und Sauerstoffgerät bräuchte“, schwärmte sie hingerissen. Harry räusperte sich. „Siggi, Schatz, komm jetzt. Unser Tisch ist frei geworden. War schön euch kennen zu lernen“, sagte es und schob seine Verlobte weiter. Marieke drehte sich kurz weg und tat, als müsste sie sich übergeben. Keine Spur mehr von dem mürrischen und verängstigen Mädchen am Anfang des Schuljahres. Die Freundschaft, insbesondere die von Janne tat ihr sichtlich gut.
„Wenn das so ist, ich habe auch noch etwas zu verkünden“, setzte Marion nachdem Harry und Siggi den Tisch verlassen hatten an und klopft mit der Gabel an ihr Glas. „Jörg, Annette, ich kann euer großzügiges Angebot nicht annehmen. Ich möchte Pia und Henning nicht hier zurück lassen müssen. Die Schließung der Interernatsküche hat sich zwar als Gerücht entpuppt, doch sollte Frau Götsch-Kruse mich doch aus irgendeinem Grund feuern können, werde ich mir eine Stelle auf Langeoog suchen. Zur Not machen wir aus Hennings Haus eine eigene Pension. So, und jetzt gebe ich einen aus. Eis für die Kinder, Weizen für uns!“
Viel zu schnell mussten sie voneinander Abschied nehmen. „Ihr müsst uns unbedingt auf Norderney besuchen. Selbstverständlich mit Ferris, Tim. Dann lernst du auch Lennart, Mariekes älteren Bruder kennen.“ „Gott sei Dank, denn hier herrscht ja der reinste Mädchen-Overkill!“, seufzte Tim gespielt theatralisch.
Als die Mädchen müde aber glücklich in ihren Betten lagen sagte Laura in die Stille hinein: “Du Janne, dein Bruder ist aber wirklich süß.“ „Finde ich auch“, stimmte Pia zu. „Süß?? Ihr spinnt jawohl. Der kann gar nicht süß sein, er ist mein Bruder, Mensch. Man merkt, dass die beiden keinen älteren Bruder haben, oder?“ „Stimmt genau“, lachte Marieke.
Den nächsten Nachmittag verbrachte Janne mit ihrer Familie am Strand. Sie tobte mit Lena, Tim und Ferris am Meer, ließ mit ihrem Vater Drachen steigen und spielte mit ihrer Mama Beach Ball. „Mama und Papa haben uns für diesen Tag extra von unseren Schulen beurlauben lassen“, sagte Lena, als die Kinder sich an der Strandbar Eis und Crèpes genehmigten. „Du hast es echt gut hier getroffen“, meinte Tim und leckte genüsslich an seinem Nuss-Eis. „Ja, als ihr mich in Hamburg besucht habt, konntest du es nicht erwarten, ins Miniatur Wunderland zu kommen. Ich wette, Mama und Papa haben dich damit geködert, stimmt‘s?“ Lena biss herzhaft in ihren Nougat-Crèpe. „Ach Leute, ich freue mich aber auch schon sehr auf die Winterferien. Ich muss doch sehen, wie die Baustelle vorangekommen ist und ob das Trampolin noch steht. Übrigens, Luise und Pia finden dich süß, Tim!“ „Ihhhh!“, machte Lena und rannte schnell weg, denn sie kannte ihren Bruder nur zu gut!
„Kann es sein, dass die Hausaufgaben in der letzten Zeit mehr geworden sind, oder habe ich bis jetzt immer nur die Hälfte davon erledigt?“, stöhnte Pia eines Nachmittags, als sie zusammen in der Bücherei über ihren Büchern und Heften brüteten. „Sowohl als auch“, sagte Janne und rutschte mit ihrem Stuhl zu Pia hinüber. „Jetzt wo klar ist, dass ihr hier bleiben werdet, solltest du dich ein bisschen mehr anstrengen. Am Ende wirst du nicht versetzt und fängst nächstes Jahr wieder bei den i-Dötzen an.“
„Ich geb ja zu, ich hatte einfach keine Lust mehr auf die ganze Lernerei. Frau Freitag hat mich auch schon auf meine immer schlechter werdenden Noten angesprochen. Fand ich echt nett, bevor sie damit zu meiner Mutter geht, wollte sie mir noch eine Chance geben, mich zu verbessern.“
„Dann sollest du sie nicht enttäuschen, oder?“, ermunterte sie Janne. „Ab sofort gilt die Parole Prüfungsnoten. Ich helfe dir bei Mathe und Deutsch und Marieke übernimmt Englisch und Erdkunde. In den anderen Fächern brauchst du keine Hilfe. „Ich könnte Pias Tischdienst übernehmen, dann hat sie mehr Zeit. Hey, was sollen die überraschten Gesichter? Wir sind schließlich die Stockenten, oder?“ „Laura, du bist ein Schatz!“, lachte Pia und fiel Laura in den Arm. „Gruppenkuscheln!“, riefen Janne und Marieke und stürzten ebenfalls auf Laura.
Plötzlich hatte der Herbst Einzug gehalten. Die Kastanien fielen dick und glänzend aus ihren stacheligen Hüllen, der Wind rüttelte kräftig an den Fensterläden die See peitschte wild an den Strand. Janne liebte diese Jahreszeit auf Langeoog. Die Ausritte am Strand waren himmlisch. Es waren so gut wie keine Touristen mehr unterwegs und die Strandkörbe sind bereits zur Reparatur eingeholt worden. Die Prüfungen hatten alle ganz gut gemeistert.. Pia hatte dank der Unterstützung ihrer Freundinnen sogar für die selbst sehr überraschend gute Ergebnisse erzielt. Sie freuten sich auf das letzte Wochenende vor den Weihnachtsferien, als sie den Musikunterricht verließen. Frau Wengenroth war wieder mal so hingerissen von Lauras Darbietung gewesen, dass sie ihr beim Hinausgehen „Bravo, Bravo!“ hinterher rief. „Ich glaube, ich übe über die Ferien einen Gitarrenriff von AC/DC auf dem Eierschneider. Vielleicht könnte ich damit meine Musiknote von der Beton-Vier auf eine wackelige Drei minus verbesser“, feixte Janne. „Was ist ein Eierschneider?“, fragte Laura arglos. „Ich schenk dir einen zu Weihnachten, dann weißt du es!“, griente Marieke und hakte sich bei Janne unter. „Lasst uns heute ins Dorf fahren und Weihnachtsgeschenke besorgen. Ich glaube, ich kaufe für Lennart Robert, die Riesenrobbe, damit sie meinen Bruder zerquetscht.“ Daraufhin bekamen die Vier einen nicht enden wollenden Lachanfall.
Sie fanden Sanddornsaft und Lakritzbonbons, verschiedene Teesorten und windschiefe Langeoog-Tassen. Janne musste noch unbedingt in die Insel-Buchhandlung beim Wasserturm. Sie hatte sich den dritten Band von „Hanna und Professor Paulchen“ bestellt. Sie liebäugelte auch mit dem sechsten Band von Harry Potter als Hörbuch, doch der war ihr zu teuer. Außerdem war sie sich sicher, dass ihre Mutter den bestimmt schon gekauft hatte. Janne hätte noch stundenlang in der engen, kleinen Bücherladen weiterstöbern können. „Wo wir schon mal hier sind, lasst uns nochmal auf den Wasserturm gehen. Ich möchte noch ein paar Fotos von uns da oben machen“, schlug Laura vor und zückte ihre Kamera. „So viele Bilder, die du schon von uns geschossen hast, da kannst du ja bald ein Daumenkino draus machen“, sagte Pia.
Abends machten sie es sich mit Keksen und Apfelpunsch in ihrer Stockente gemütlich, verpackten die Geschenke und unterhielten sich über das bevorstehende Weihnachtsfest. „Wie feiert man eigentlich ganz normal Weihnachten?“, fragte Luise, „Wir sind meistens zum Skifahren in St. Moritz oder in Aspen, Colorado.“ „Mama und ich feiern Heiligabend immer zusammen. Erst gehen wir in die Kirche, dann kochen wir was Leckeres und nach der Bescherung sehen wir fern“; sagte Pia ohne eine schnippische Bemerkung in Richtung Laura abzugeben, was Janne ihr hoch anrechnete. „Am ersten Feiertag muss ich dann zu meinem Vater aufs Festland“, fügte Pia hinzu. Sie hatte noch nie über ihren Vater gesprochen und es schien ihr nicht der Sinn danach zu stehen, gerade jetzt damit anzufangen „Tja, da wir haben immer in den jeweiligen Hotelanlagen gefeiert. Für die Gäste musste es immer das Highlight der gebuchten Reise werden, und darum hatten Mama und Papa zu Weihnachten jede Menge Stress. Aber es gab immer Animateure, die den Weihnachtsmann für uns gespielt haben. Ich fand‘ lustig.“
Janne nahm sich einen Keks und erinnerte sich: „Früher hat Mama uns immer zu Oma und Opa gebracht. Wenn wir dann später nach Hause kamen, sah immer alles ganz toll aus. Plötzlich stand ein wunderschön geschmückter Weihnachtsbaum im Wohnzimmer, überall leuchteten Kerzen und Lichterketten und die Geschenke waren unter dem Baum ausgebreitet. Inzwischen schmücken helfen meine Geschwister und ich beim Schmücken und Oma und Opa kommen später zum Essen zu uns. Letztes Jahr war es in der Kirche sehr lustig, denn Tim hat mit seiner Konfigruppe die Weihnachtsgeschichte aufgeführt. Tim hat den Kaiser gespielt und saß während des ganzen Gottesdienstes auf einem Podest und schaute in die Gemeinde. Am Ende des Stückes sprang er herunter und rief dann laut “Hoppala!“ und alle in der Kirche haben gelacht.“ „Wie süß“, schwärmte Laura. „Finde ich auch“, stimmte Pia ihr zu. Janne und Marieke sahen sich an und schüttelten die Köpfe.
Die Koffer waren gepackt und Pferdekutschen standen zur Abreise bereit. Pia begleitete ihre Freundinnen noch bis zum Bahnhof. Zum Abschied bildeten die Vier einen Kreis, legten die Hände übereinander und reifen: „Stock-Ente, Stock-Ente, Stock-Ente!“, und Janne dachte glücklich: Neue Schule – neue Freunde!
Neue Schule - Neue Freunde
„In einer Woche geht’s los“, seufzte Janne, „ich werde das hier ganz schön vermissen.“ Sie setzte sich auf und sah zu ihrer Zwillingsschwester Lena, die neben ihr auf dem großen Trampolin lag. Sie waren zwar Zwillinge, sahen sich aber kein bisschen ähnlich. Janne war einen halben Kopf größer als ihre Schwester, hatte dickes, dunkelblondes, fransig geschnittenes Haar, und trug eine hellblaue Brille. Lenas blondes, feines und mit einer hellen Strähne versehendes Haar fiel ihr bis auf die Schultern und für ihre 10 Jahre hatte sie erstaunlich viele Zahnlücken. Der Vater der Zwillinge hatte einmal behauptet, sie hätten genau zwei Gemeinsamkeiten: erstens waren sie beide Mädchen, zweitens hätten sie beide zufällig am selben Tag Geburtstag. Und wenn die Mutter gefragt wurde, ob es denn Zwillinge in der Familie gegeben hätte, antwortetet sie mit stoischer Gleichmäßigkeit, dass das Einzige, was sie selbst mit Zwillingen gemeinsam hätte, ihr Sternzeichen war.
Dem großen Bruder Tim war das alles herzlich egal. Mit seinen 14 Jahren hatte er ohnehin andere Interessen als seine Schwestern. Zum Ärgern und manchmal zum Herumkommandieren ok, aber sonst! Er setzte im Moment alles daran, den Treckerführerschein zu machen, damit er noch mehr im elterlichen Bauernhof einsteigen konnte.
„Es wird dir gefallen, glaub mir“, sagte Lena, „ich für meinen Teil freue mich schon, endlich meine Freunde wieder zu sehen. Sechs Wochen Sommerferien sind echt genug.“ „Dazu muss ich erst mal Freunde finden. Du kommst immerhin schon in die sechste Klasse. Du kennst dein Internat in- und auswendig. Ich dagegen fange als i-Dötzchen an. Die gucken bestimmt alle, weil ich schon so groß bin. Nur weil ich ein halbes Jahr wegen dieser blöden Operation aussetzten musste.“ Janne rappelte sich auf und fing zu hüpfen an.
„Hey pass auf, ich falle fast runter!“, rief Lena und kletterte vom Trampolin auf ihren Voltigierbock aus Holz, der daneben stand. „Sei froh, dass dein Herz wieder in Ordnung ist und du jetzt wieder richtig hüfen und reiten kannst! Das war das halbe Jahr im Krankenhaus allemal wert. Außerdem, ich wünschte, mein Internat würde sich auch auf Langeoog und nicht in Hamburg befinden, das kannst du mir glauben! Jeden Tag hast du das Meer vor der Haustür und dann noch der Reitstall des Internats! Ausritte am Strand! Ich beneide dich echt.“
„Ja stimmt schon. Das haben Mama und Papa echt gut ausgesucht. Ob sie uns vermissen werden?“, fragte Janne und sah ihre Schwester fast ängstlich an. „Und was ist mit Tim? So ganz alleine auf einmal.“ „Mach dir um unseren großen Bruder mal keine Sorgen. Der hat nur noch die Baustelle und seinen Führerschein im Kopf. Und die Eltern – mir haben sie letztes Jahr jede Woche zwei Briefe geschickt. Das wird bei dir nicht anders sein.“
Die kommende Woche verging wie im Flug. Die Zwillinge sind oft zusammen mit den Freundinnen Luise und Jette aus dem Ort schwimmen gefahren, waren Eis essen, haben gemeinsam im Garten gezeltet und die Nächte durch gequatscht. Am Tag vor der Abreise wurde die Familie zum gemeinsamen Grillen eingeladen. Überall im Garten und auf der Dachterrasse waren Fackeln und Teelichter verteilt. Janne und Lena wurden zum Abschied mit guten Ratschlägen, extra Portionen Kuchen und großzügigem Taschengeld von Oma und Opa versorgt. „Hey, und was ist mit mir?“, beschwerte sich Tim lautstark bei seinen Eltern, „warum schickt ihr mich nicht in ein Bauerninternat? Ich fordere sofort mehr Taschengeld!“ „Wir bezahlen bereits deinen Führerschein, du Nase“, rief Opa Heini dazwischen und boxte Tim freundschaftlich in die Seite. „War nur ein Scherz, Opa. Um nichts in der Welt will ich in einer Schule auch noch schlafen müssen!“
Endlich waren alle Koffer, Taschen und Rucksäcke im Auto verstaut. Außerdem wollte Janne auf keinen Fall auf ihren grünen City-Roller verzichten. Tim stand mit Ferris, dem Schäferhund der Familie auf dem Hof und winkte ihnen hinterher. Janne schaute noch einmal traurig zurück, und sie hätte schwören können, das Tim sich über die Augen gewischt hatte. Bis auf einen kurzen Stau waren sie gut in Bensersiel angekommen. „Lange werden wir uns nicht verabschieden können“, sagte Jannes Mama Kerstin nach hinten zur Rückbank gerichtet. „Wir müssen gleich weiter nach Hamburg und Lena abliefern.“ „Ok, Mama, aber könnt ihr mir einen Gefallen tun, du und Papa?“ „Ja bitte?“ Ihre Eltern drehten sich gleichzeitig nach hinten um und die Zwillinge kreischten schon wieder vor Lachen. Während des Staus hatten sich die Eltern kugelrunde rote Stoffnasen aufgesetzt. Zur Stressbewältigung, hatte die Mutter erklärte und den anderen Verkehrsteilnehmern zugelächelt, während der Vater mit wunderbarer Gleichgültigkeit weiter geradeaus schaute.
„Könnt ihr bitte die Nasen abnehmen? Mir ist das echt peinlich hier vor den ganzen Leuten. Es sind bestimmt schon Mitschüler darunter. Die denken doch alle, meine Eltern hätten `nen Vollknall“, flehte Janne unter Lachtränen. „Nicht wenn sie Dr. Eckhard von Hirschhausen kennen“, schmunzelte die Mama. „Die Nasen sind doch harmlos. Erinnere dich bitte: Bei meiner Einschulung in Hamburg hatten sie diese Käppies mit den klatschenden Händen obendrauf an. Das ist volle Absicht von den beiden, damit uns und ich glaube auch ihnen der Abschied leichter fällt“, raunte Lena Janne zu.
Auf der Fähre suchte Janne sich einen Platz ganz oben an Deck und winkte ihren Eltern und Lena ein letztes Mal zu. Ein anderes Mädchen in ihrem Alter stand ebenfalls ganz oben und winkte. Janne bemerkte, dass ihr Tränen über die Wangen liefen und schaute schnell woanders hin. Sie wollte nicht, dass das Mädchen sich beobachtet fühlte. Die Überfahrt dauerte nicht lange. Schon bald war die Insel in Sicht. Nachdem die Fähre angelegt hatte, suchte Janne sich einen Platz in der Inselbahn. Sie kannte das Prozedere bereits, da sie schon ein paar Mal Urlaub mit der Familie auf Langeoog verbracht hatte. Nun aber wimmelte es vor Mädchen in allen Altersklassen. Viele hatten bereits ihre Schulkluft, ein hellblaues T-Shirt oder Sweatshirt und eine dunkelblaue Steppweste mit dem Internatslogo und der Aufschrift „Nordseestern“ versehen. Bald werde ich auch so eine Uniform bekommen. Sieht chic aus, dachte Janne. Dann bemerkte sie wieder das Mädchen von der Fähre. Sie saß alleine auf einer Bank im Abteil und schaute in die Ferne, als ob sie der ganze Trubel kein bisschen interessierte. Janne fasste sich ein Herz und setzte sich neben sie. „Na, bist du eine der Neuen im Nordseestern? Ich heiße Janne“, sagte Janne munter und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich will nicht reden“, brummte das Mädchen mürrisch und drehte Janne den Rücken zu. Verdutzt sah Janne sie an. Da die Bahn inzwischen brechend voll geworden war, musste Janne wohl oder übel neben ihr sitzen bleiben. Ärgerlich drehte sich Janne von dem Mädchen weg. Das fing ja gut an!
Am Langeooger Bahnhof warteten ca. 15 Pferdekutschen auf die Mädchen des Internats. Auf der Insel waren ausschließlich Pferdekutschen und Elektroautos erlaubt. Eine recht junge Lehrerin stand auf dem Vorplatz und hielt eine rot-blaue Fahne mit der Aufschrift „Nordseestern Erstsemester“ hoch. Neben Janne und dem immer noch mürrisch dreinblickenden Mädchen gesellten sich noch sechs weitere Mädchen. „Mein Name ist Ann-Kathrin Klasing. Ich bin die Sport- und Reitlehrerin der Schule und außerdem die Vertrauenslehrerin der Erstsemester. Herzlich willkommen ihr Lieben. Ich hoffe, ihr hattet eine ruhige Überfahrt und keiner von euch ist seekrank geworden. Als ich das erste Mal nach Langeoog gekommen bin, habe ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt.“ Alle lachten und zum ersten Mal blickte auch das Mädchen auf. „Verzeihung, so krass wollte ich das nicht formulieren. Aber es gibt keinen treffenderen Ausdruck dafür. Verratet mich nicht an Frau Götsch-Kruse“, fügte sie verschwörerisch hinzu. „Das ist die Internatsleiterin und sie mag keine unflätigen Ausdrücke. Womit sie natürlich absolut Recht hat, denn das gehört sich nicht“, schloss sie augenzwinkernd. „Die ist aber nett, oder“, wagte Janne einen zweiten Versuch, nachdem sie in der Kutsche Platz genommen hatten. „Kann schon sein.“ „Das Internat befindet sich bei der so genannten Melkhorndüne!“, rief Frau Klasing, da die Kutsche ziemlich laut polterte. „Von hier sind es etwa 12 Kilometer über den Deich und durch die Dünen. „Das ist ja am Arsch der Welt“, beschwerte sich ein blondes gelocktes, hageres Mädchen das, die Janne gegenüber saß. Noch so eine Spaßbremse, dachte diese. Das kann ja heiter werden!
Das Internat lag wirklich idyllisch in den Dünen eingebettet. Es war U-förmig gebaut, hatte zwei Stockwerke und ein rustikales Reetdach mit zahlreichen Gauben. „Eure Koffer werden in Kürze auch hier sein. Henning, unser Haus- und Hofmeister ist schon unterwegs, sie vom Bahnhof abzuholen. Stellt euch besser gut mit ihm, denn er ist auch für den Verleih der Schulfahrräder zuständig. Alle Schlafräume der Schüler befinden sich im Ostflügel. Ihr seid in 4-er Zimmern untergebracht. Im Zimmer Moorhenne werden zukünftig Hanna, Silvie, Merle und Kira wohnen. Das Zimmer Stockente teilen sich Janne, Marieke, Pia und Laura. Ihr könnt schon mal eure Zimmer in Augenschein nehmen und die Betten beziehen. In einer halben Stunde treffen sich alle Schüler und Lehrer in der Aula zum Empfang. Anschließend gibt es Mittagessen.“ Damit verabschiedete sich Frau Klasing und die Mädchen standen ein wenig unschlüssig herum.
„Die Zimmernamen sind ja der Kracher“, kicherte Janne. „Gut, dass es auf Langeoog keine Doppelschnepfen oder Fettschwalben gibt“, bemerkte das kleine, kräftige Mädchen neben Janne trocken. Alle drehten sich zu ihr um. „Na ja, meine Mutter arbeitet hier im Internat. Sie ist hier die Hausmutter Schrägstrich Chefköchin und beschäftigt sich in ihrer Freizeit mit Ornithologie.“
„Häh?!“, machten alle aus einem Munde.
„Vogelkunde! Noch nie was davon gehört oder was?“, erklärte das Mädchen ein wenig hochnäsig. „Nun mach mal nicht auf superschlau. Wenn deine Mutter hier arbeitet kennst du dich doch aus. Also los, zeig uns mal die Zimmer“, beschied Janne und ging schon mal voraus. Na toll, dachte sie. Die Mürrische, die Spaßbremse und jetzt auch noch eine Ich-weiß-was-das-du-nicht-weißt-Trulla.
„Zum Ostflügel geht es hier lang du Blitzmerker“, rief Pia ihr nach und deutete in die entgegengesetzte Richtung. Das Zimmer Stockente hatte die Fenster `gen Küste. Die Moorhenne lag direkt gegenüber. Jedes der Zimmer hatte zwei Dachgauben unter denen jeweils zwei Betten neben denen je links ein Nachtschränkchen stand. Janne öffnete die weißen Fensterläden und ließ die frische Meeresluft herein. Vor den Betten lagen flauschige, rot-blau-gelb geblümte Läufer auf dem Dielenboden und an jedem Fußende stand eine Holztruhe, auf dem rot-blau kariertes Bettzeug lag. Es gab außerdem einen Tisch mit vier Stühlen, zwei Kleiderschränke, ein Regal und ein Waschbecken mit einem hässlichen Spiegelschrank darüber.
Die Verteilung der Betten war schnell geklärt. Marieke hatte sich für das Bett ganz an der Wand entschieden, Janne daneben, weil sie unbedingt unter dem Fenster schlafen wollte. Pia und Laura teilten sich die Betten auf der anderen Seite.
„Ich werde noch wahnsinnig. Wie geht denn das? Ich hab so was noch nie gemacht“, klang es dumpf aus dem Bettbezug ganz links. Laura sah aus wie ein kariertes Gespenst. „Hast du bis jetzt in einem Schlafsack geschlafen, oder was?“, fragte Pia schnippisch in Lauras Richtung. „Wir haben zu Hause Personal für so was“, gab Laura gleichmütig zurück. „Vielleicht kannst du das für mich übernehmen. Deine Mutter hat dir das Betten machen doch bestimmt schon beigebracht als du noch ein Baby warst, oder?“
„Leute hört auf zu streiten. Wir müssen hier für längere Zeit miteinander klar kommen“, mischte sich Janne verärgert ein. So hatte sie sich ihren ersten Tag im Internat nicht vorgestellt. „Laura, ich zeige dir, wie das mit dem Bettzeug funktioniert und dann machen wir zusammen auch die anderen Betten klar. Ihr zwei werdet in der Zeit losziehen und unsere Koffer holen.“ Jannes Ton ließ keinen Platz für Widerspruch. „Man, wie viele Klamotten habt ihr bloß mitgenommen?“, ächzte Pia, als sie mit Marieke vollbepackt zurück ins Zimmer kamen. „Na ja, die Sporttasche da ist allein schon voll mit Hörbüchern, Asterix-Heften und meinem CD-Player. Ich hoffe, ihr mögt Harry Potter“, erklärte Janne etwas verlegen. „Zu blöd nur, dass wir hier keinen MP-3 Player benutzen dürfen. „Da sagst du was!“, beschwerte auch Laura sich. „Ich weiß nicht, wie ich hier ohne mein i-Phone, meinem Laptop und ganz zu schweigen von meiner Wii-Konsole überleben soll!“ „Hach Gottchen du Ärmste! Mir kommen die Tränen. Warum haben dich deine Eltern dann ausgerechnet hier hin geschickt?“, hakte Pia ärgerlich nach. „Meine Nanny hat das Internat ausgesucht weil sie glaubt, es tät mir gut und meine Eltern vertrauen ihrem Urteil. Ich hatte keine Wahl“, lautete Lauras traurige Antwort.
Pünktlich um halb zwölf waren alle in der Aula versammelt. Frau Götsch-Kruse betrat die Bühne und Stille trat ein. „Meine lieben alten und neuen Schülerinnen unserer wundervollen Schule Nordseestern. Ich möchte euch recht herzlich zu einem neuen, lehrreichen und hoffentlich erfolgreichen Schuljahr bei uns begrüßen. Ich hoffe, ihr werdet unsere Schule auch in diesem Jahr zu neuen Ehren führen gemäß dem Motto: Fragt euch nicht, was die Schule für euch tun kann, sondern immer, was ihr für die Schule tun könnt“, deklamierte Frau Götsch-Kruse salbungsvoll und schob ihre Brille, auf die sie offensichtlich angewiesen war, mit dem Zeigefinger die Nase hoch. „Für unsere Erstsemester gilt Folgendes: Tischdienst , immer zu zweit werdet ihr die Tische für alle eindecken und nach den Mahlzeiten wieder abräumen und anschließend abwischen. Schlafenszeit um 20.00 Uhr – ausnahmslos. Kein nächtliches Treiben auf in der Schule oder dem Gelände!“
Janne, Marieke, Pia und Laura schauten sich ungläubig an. Das konnte ja heiter werden! „Was erwartet sie denn, was hier nachts passieren könnte? Das Robert die Riesenrobbe über die Melkhorndüne robbt und uns zerquetscht?“,zischte Janne leise. Die anderen am Tisch mussten sich wider Willen das Lachen verkneifen.
Frau Götsch-Kruse fuhr unbeirrt fort. „Nach dem Mittagessen werdet ihr alle bei Frau Meyer-Erk, unserer Hausmutter, vorstellig werden. Dort bekommt ihr eure Schuluniform, in die ihr eure Namensschilder einzunähen habt.“ Von Laura war ein leises Stöhnen zu vernehmen und Pia grinste zu ihr hinüber.
„Um 15.00 Uhr trefft ihr euch mit Frau Klasing am Brunnen. Sie wird euch über das Schulgelände führen. Abendessen ist pünktlich um 18.00 Uhr. Ich dulde weder Verspätung, noch ungeordnete Kleidung oder schmutzige Hände. Und jetzt folgt mir in den Speisesaal.“
Der Speisesaal war groß und lichtdurchflutet. Von der stuckverzierten Decke hingen 6 wunderschön verzierte Kronleuchter, die dem Saal den Hauch eines Schlosses verlieh. Auf dem auf Hochglanz poliertem Parkett standen 14 runde Achtertische. Der Tisch der Erstsemester befand sich vis à vis dem des Lehrertisches, an dem bereits alle Plätze belegt waren.
Ein großes Büfett war am Kopfende des Saales aufgebaut, an dem sich die Schülerinnen nach Herzenslust bedienen durften. Das Essen war erstklassig. Als Vorspeise gab es gemischten grünen Salat mit frischen Nordseekrabben und gebratenem Speck. Die Hauptspeise bildete knusprig gebratenen Hähnchenschenkel mit Pommes und Rahmchampignons und der krönende Abschluss bestand aus Schokoladenpudding und frischem Obstsalat.
„Gewöhnt euch nur nicht dran. Das ist nur am ersten Tag so“, mahnte ein älteres Mädchen mit langen dunklen Haaren und leuchtend blauen Augen, das hinter Janne stand. „Ab morgen ist hier wieder Schmalhans Küchenmeister.“ „Was meinte sie damit?“, fragte Janne Pia, als sie wieder Platz genommen hatten. „Meine Mutter erzählt mir auch nicht alles, was hier abgeht“, raunte Pia mit Blick auf den Lehrertisch zurück. „Aber irgendwas ist hier im Busch.“
Die Hausmutter entpuppte sich als fröhliche Person, Anfang vierzig, mit einer frechen blonden Kurzhaarfrisur und lustigen Sommersprossen im Gesicht, die der Bezeichnung ‚Hausmutter‘ so gar keine Ehre machte. „Da seid ihr ja. Ich habe euch schon erwartet. Bitte nennt mich bei meinem Vornamen Marion, sonst komme ich mir uralt vor“, lachte sie. „Wenn irgendwas ist, ihr Sorgen habt oder ihr Hilfe braucht - ihr könnt jederzeit zu mir kommen. Ich habe sogar ein Wundermittel gegen Heimweh.“ Sie zwinkerte Marieke zu und drückte sie kurz an sich. „Ach, wissen sie, ich könnte dringend Hilfe gebrauchen. Könnten sie mir vielleicht die Namensschilder einnähen?“ , frech drängte Laura sich in den Vordergrund.
„Nun, meine Liebe, wir sind hier im Nordseestern der Meinung, dass Hausarbeit sehr zur Persönlichkeitsbildung beiträgt. Nicht umsonst landen viele Mädchen am Ende bei mir, wenn es darum geht, Strafarbeiten zu verrichten“, gab Marion trocken zurück. Die anderen konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, selbst Marieke lächelte. „Jetzt aber los mit euch, in einer halben Stunde ist das Treffen am Brunnen zur Schulbesichtigung. Pia, komm mich doch mit deinen neuen Freundinnen nächste Woche auf eine Tasse Kakao besuchen, hm?“ Sanft aber bestimmt schob sie die Mädchen aus der Wäschekammer. Diese wiederum sahen sich an. Freundinnen?? Wohl kaum!!
Ohne es zugeben zu wollen waren alle Vier froh, als um 20.00 Uhr die Vorhänge zugezogen und das Licht gelöscht wurde. Dieser Tag, der sich nun langsam dem Ende neigte, hatte es wirklich in sich gehabt. Von Ferne konnte man die Nordsee durch die geöffneten Fenster rauschen hören.
Schon am nächsten Morgen hatte sie der Schulalltag eingeholt. Sie bekamen ihre Klassenräume zugewiesen, notierten sich ihre Stundenpläne und nahmen die Unterrichtematerialien in Empfang. Ihre Klassenlehrerin hieß Frau Freitag, die auf keinen Fall Robinson genannt werden wollte, worauf einige Schülerinnen sie ganz verdutzt ansahen. Was hatte ein Wochentag mit Robinson zu tun, wollten die Mädchen wissen. Daraufhin erzählte ihnen Frau Freitag die Geschichte von dem Seemann Robinson Crusoe, der mehrere Jahre als Schiffbrüchiger allein auf einer Insel leben musste. Er hatte einen Wilden vor zwei Kannibalen gerettet und hat ihn Freitag genannt, denn an einem Freitag hatte er ihm das Leben gerettet. „Da hätten die Kannibalen an Frau Freitag aber lange zu essen gehabt“, murmelte Laura in Anspielung auf die recht fülligen Proportionen Frau Freitags. Doch das dickliche Aussehen stand im Gegensatz zu ihrem messerscharfen Verstand und treffsicherem Urteilsvermögen.
Ihre Klassenlehrerin unterrichtete Mathe und Deutsch, Jannes Lieblingsfächer. Sie hatte schon immer viel gelesen und Mathe fiel ihr einfach leicht. In der nächsten Zeit sollte sich das noch als wahrer Segen entpuppen, denn die anderen Mädchen ihrer Klasse waren längst nicht so weit. Janne wurde von ihren Mitschülerinnen einstimmig zur Klassensprecherin gewählt. Sie freute sich schon jetzt, dies so gaaanz nebenbei in dem nächsten Brief an ihre Eltern erwähnen.
Lustig war der Kunstunterricht bei Jutta Lange, die immer heimlich vor dem Unterricht aus dem Fenster heraus Zigarillos rauchte – trotz des strickten Rauchverbots auf dem gesamten Schulgelände! Sie verkörperte quasi das Gegenteil von Frau Freitag. Sie war groß, sehr hager, hatte lange wilde dunkle Lochen und trug immer selbst gebatikte Kleider in mehreren Schichten übereinander. Die vielen Armreifen klirrten bei jeder Bewegung, und sie unterstrich ihre Erklärungen immer mit weitschweifigen Gesten. „Mehr Farbe – ich will mehr Farbe! Das Bild muss leben! Es soll eine Geschichte erzählen! Haucht der leeren Leinwand Leben ein Kinder!“, rief sie immer voller Inbrunst und schwang ihren Pinsel wie ein Dirigent. „Diese Walla-Walla-Kleider sind doch echt praktisch. Bei ihrer Kleckserei braucht sie immer nur die oberste Schicht ausziehen und zack – wie neu“, wisperte Janne Marieke zu. Marieke biss sich in die Faust, um nicht laut los zu prusten. Die beiden hatten sich nach ihren Anfangsschwierigkeiten auf einen Waffenstillstand geeinigt, und inzwischen verstanden sie sich immer besser.
Englisch, Französisch und Erdkunde wurde von Frau Eimatenbrink unterrichtet. Sie war ganz begeistert von Mariekes Fremdsprachenkenntnissen. Außerdem kannte Marieke sich auf der Weltkarte ausgezeichnet aus. Kunststück – war sie doch jahrelang mit ihrer Familie kreuz und quer über den Globus gereist. Mariekes Eltern hatten als Clubchefs diverse Hotelanlagen in Florida, auf den Malediven, den niederländischen Antillen, in der Schweiz und zum Schluss auf Fuerteventura geleitet. Marieke und ihr Bruder sind entweder von Privatlehrern oder in internationalen Schulen unterrichtet worden.
Auf das Reiten freuten sich Janne und Marieke am allermeisten. Sie waren beeindruckt von den Leistungen der älteren Schülerinnen. Besonders Isabell, das Mädchen, das Janne bei der ersten Mahlzeit kennen gelernt hatte, sah toll aus, wenn sie mit Willi, ihrem Pferd über die Hindernisse flog. Isabell stand kurz vor ihrem Schulabschluss und hatte bereits die Reitlehrer-Lizenz erworben. Es stellte sich heraus, dass Janne und Marieke gut mithalten konnten. Janne tat sich besonders im Springen hervor. „Du solltest in der Schulmannschaft reiten“, hatte Isabell bereits nach der zweiten Reitstunde zu Janne gesagt, Ann-Kathrin sah das genauso. Sie durften Frau Klasing während des Reitunterrichts beim Vornamen nennen, sofern Frau Götsch-Kruse sich nicht in der Nähe aufhielt. „Das kommt aber so gut wie nie vor, sie hat nämlich eine Pferdehaarallergie“, schmunzelte Ann-Kathrin und zwinkerte Janne zu.
Marieke ritt für ihr Leben gerne Dressur oder Querfeldein. Ein Widerspruch vielleicht, aber sie hatte die Pferde in beiden Disziplinen voll im Griff. Laura entpuppte sich als geborenen Volti-Akrobatin. Die kompliziertesten Übungen bewältigte sie mit einer Leichtigkeit, die Seinesgleichen sucht. Selbst Pia, die auch gerne voltigierte, musste dies neidlos anerkennen. Beim Sportunterricht wirbelte Laura in Flic-Flacs durch die Halle, lief auf den Händen und wusste das Einrad vorwärts und rückwärts zu beherrschen. Außerdem liebte sie Musik. Frau Wengenroth, die Musiklehrerin mit einer blonden Allerweltsfrisur, jedes Mal den Tränen nahe, wenn Laura die Mondscheinsonate von Beethoven oder die Regentropfen von Chopin spielte.
Janne dagegen hatte mit Instrumenten nicht so viel zu tun. „Frau Wengenroth, ich sagte es ihnen doch bereits. Meine Mama hat auch schon versucht, mich zum Keyboard spielen und zur Blockflöte zu überreden. Sie hat mich hin und her kutschiert und die Stunden bezahlt. Ich hab mir auch echt Mühe gegeben, das müssen sie mir glauben, aber das Gefiedel und Gedudel liegt mir nun mal nicht. Ich höre gerne zu und singe auch ganz gut, aber Instrumente und ich werden vorerst keine Freunde mehr. Oder hätten sie vielleicht eine Triangel für mich?“ Frau Wengenroth seufzte tief und drückte Janne eine Rassel in die Hand. „Aber immer schön im Takt bleiben!“
Ein paar Tage später schreckte Janne mitten in der Nacht hoch. Ein gedämpftes Schluchzen drang an ihr Ohr. Marieke! Als wenn es die Hausmutter schon damals am ersten Tag geahnt hätte. Leise schlich Janne zu Mariekes Bett hinüber und schüttelte sie sanft. „Hey, ist es immer noch so schlimm für dich hier?“ „Was weißt du denn schon. Du hast ja keine Ahnung.“ „Dann erzähl es mir.“ „Warum ausgerechnet dir?“ „Weil sonst niemand hier ist, du Nase. Nein, im Ernst. Ich bin deine Freundin und außerdem sehen wir uns so ähnlich, dass wir Zwillinge sein könnten, was man von meiner echten Zwillingsschwester nicht behaupten kann.“ „Du bist ein Zwilling? Das ist ja krass. Warum hast du mir das noch nicht erzählt?“ Marieke richtete sich auf und sah Janne interessiert an. „Ach“, winkte Janne ab, „hört sich spannender an als es ist. Ich habe auch noch einen älteren Bruder, Tim. Der ist vierzehn und manchmal echt nervig!“ Janne kramte eine kleine Glasschale mit einem Teelicht aus ihrer Nachttischschublade hervor und zündete es mit einem Streichholz an. „Offenes Feuer ist zwar verboten, aber uns sieht ja keiner“, flüsterte Janne. „Ich habe auch einen älteren Bruder. Lennart heißt er. Und er durfte bei meinen Eltern bleiben. Mich dagegen habe sie weggeschickt.“ Marieke fing wieder bitterlich an zu weinen.
„Was ist denn los bei euch?“, grummelte Pia verschlafen. „Ja verdammt. Ich kann auch nicht schlafen, wenn ihr ständig quatscht“, maulte Laura von ganz links. „Ach, und was ist mit diesem Ich-darf-immer-Popstars-und DSDS-bis-zum-Ende-sehen-und-bin-nicht-müde-Gelaber?“, äffte Pia Laura mit geziertem Tonfall nach.
„Geht das schon wieder los!“, fuhr Janne die beiden wütend an. „Marieke geht es nicht gut. Sie hat schlimmes Heimweh und wir sollten ihr helfen, statt uns hier gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen.“
Laura und Pia schwiegen betreten. „Deine Mutter hat am ersten Tag von einem Wundermittel gegen Heimweh gesprochen. Meinst du, das stimmt?“, wandte sich Janne an Pia. „Wir könnten ja mal fragen. Einen Versuch ist es allemal wert. Wir, ich meine, meine Mutter hat ein kleines Cottage hinter dem Küchen- und Hauswirtschaftstrackt. Ihr habt es damals bei der Führung von weitem sehen können.“ „Ach, ich dachte, es wäre eine Art Geräteschuppen oder so was.“ Laura stockte. „Verzeihung, ich hab es echt nur von weitem gesehen.“ „Nicht mehr lange und ich werde dir in deinen verwöhnten Hintern treten!“, fuhr Pia Laura fuchsig an.
„Na toll! Weckt doch gleich das ganze Haus auf, ihr blöden Streithammel! Also, wie komme ich am schnellsten zu dem Haus deiner Mama?“ Janne war diese ewige Hick Hack zwischen Pia und Luise so was von leid! „Am besten, du gehst am Brunnen rechts vorbei, dann weiter links an der großen Kastanie über den Trampelpfad zur Koppel und wieder links am Gewächshaus vorbei. Ach weißt du was? Ich komme besser mit. Dann geht es schneller.“
„Ich komme auch mit. Schließlich riskiert ihr eine Strafarbeit nur wegen meines bescheuerten Heimwehs“, meldete sich Marieke zu Wort, wischte sich die Tränen ab und schlüpfte in ihre Turnschuhe, die unter ihrem Bett standen.
„Ihr könnt mich doch hier nicht alleine lassen! Ich komme auch mit.“ Entschlossen zog Laura ihren flauschigen Morgenmantel über und schlüpfte in ihre mit Bommeln besetzten Plüschpantoffeln. Die anderen zogen sich ihre Trainingsjacken über, Janne pustete das Teelicht aus und gemeinsam schlichen sie aus dem Zimmer. Als sie am Brunnen vorbei rannten erstrahlte plötzlich der gesamte Vorplatz des Internats in vollem Licht.
„Mist, die Bewegungsmelder hatte ich total vergessen!“, rief Pia erschrocken. „Schnell, hier entlang.“ Schließlich gelangten sie über den matschigen Reitpfad und einem Kiesweg zu dem Cottage. Pia wollte schon klingeln, als Janne ihr von hinten auf die Schulter tippte und in den Garten deutete. „ Pssst! Ich höre Stimmen da hinten.“ Sie schlichen in den Garten und versteckten sich hinter einem großen Rhododendronbusch. Auf der Gartenbank saßen Pias Mutter und ein Mann, dessen Gesicht nicht zu erkennen war. Sie tranken Wein und schauten in das Feuer, welches in einer großen Eisenschale auf dem Boden loderte.
„Hast du es deiner Tochter schon erzählt?“
„Wann denn, es war so viel los in der letzten Zeit.“
„Das ist ja Henning“, flüsterte Janne erfreut, „den find ich richtig nett. Und süß ist er auch.“ Pia sah so aus, als ob sie das ganz und gar nicht zum Spaßen fand. „Du musst ja auch nicht deiner Mutter beim flirten zusehen, oder?“ „Die flirten doch gar nicht. Sie unterhalten sich bloß“, warf Marieke ein. „Na wer’s glaubt“, kam es lapidar von Laura, worauf sie einen mehr als zornigen Blick von Pia kassierte.
„Du hattest die ganzen Sommerferien Zeit, ihr von uns zu erzählen. Schließlich sind wir keine Teenager, die sich und ihre Gefühle verstecken müssten.“
„Ich weiß, aber Pia war sowieso schon so verzweifelt, da sie nicht mehr bei mir sondern im Internat schlafen muss.“
Janne, Marieke und Laura sahen Pia verwundert an. Pia? Verzweifelt? War ihnen gar nicht so vorgekommen. Sie schien immer so cool zu sein.
„Ich glaube, ihr ist es vor den anderen Mädchen peinlich, dass ich hier als Köchin und Hausmutter arbeite“, fuhr Pias Mutter unterdessen fort.
„Und jetzt komme ausgerechnet ich als Haus- und Hofmeister ins Spiel. Das wäre sozusagen der Supergau für Pia, hm?“
„So habe ich das nicht gemeint und das weißt du auch. Ich denke eher an die Andeutung, die Frau Götsch-Kruse neulich gemacht hat von wegen Schließung der Internatsküche, Stichwort Kostensenkung und so weiter. Sie mochte mich ja noch nie so besonders, und seit des Vorfalls beim Sommerfest letztes Jahr. Sie sucht nur noch eine passende Gelegenheit um mich feuern zu können.“
„Du spinnst. Und außerdem, wer soll denn sonst den Laden hier schmeißen? Sollen etwa die Zivies aus dem Schwedenhaus für das Internat mit kochen? Lächerlich! Aber was war denn nun auf dem Sommerfest?“
„Na ja, ich habe mich mit dem Inselmaler Harry unterhalten und als das Fest zu Ende war, sind wir noch auf ein Glas Wein zu ihm auf seine Terrasse gegangen. Er hat mir erzählt, wie sehr er seine Frau vermisst und er sich sehnlichst wünscht, dass sie hier auf Langeoog eine Festanstellung bekommt und so weiter. Jedenfalls läutete es später und Frau Götsch-Kruse stand mit einer Flasche Champagner in der Hand vor seiner Tür. Ich habe mich schnell verabschiedet, aber die Blicke von ihr hätten töten können, ich schwörs dir!“
„Harry ist diese Dauerbelagerung der Lehrerinnen des Internats inzwischen echt lästig. Wusstest du, dass die Freitag ihm immer Kuchen bringt, und die Lange ständig ihre jüngsten Kunstwerke zu ihm schleppt, um sein Urteil zu hören? Das hat er mir mal bei einem Bier in der Düne 13 erzählt“, lachte Henning. „Und jetzt auch noch die Chefin mit Champagner!“
„Ich habe mich für alle Fälle schon mal nach einer neuen Stelle umgehört. Auf Norderney macht bald ein neues Clubhotel auf. Die würden mich liebend gerne für das Hauskeeping einstellen. Ich habe mir noch eine Bedenkzeit ausgebeten.“
„Wann genau wolltest du mir davon erzählen?! Ausgerechnet Norderney! Die Insel der Reichen, Schönen und Spinner!“, rief Henning aufgebracht. „ Ich dachte, du würdest mit Pia zu mir ziehen, wenn sie einverstanden ist. Dann hättest du Abstand vom Schulbetrieb und ich wäre nicht mehr alleine in dem großen Haus. Wir könnten eine richtig Familie werden!“ Er sprang auf und schritt vor dem Feuer auf und ab, wobei er dem Rhododendronbusch gefährlich nahe kam.
Vorsichtig auf leisen Sohlen schlichen sich die Vier wieder zurück zum Haupthaus. Um den Brunnen machten sie allerdings einen großen Bogen. Sie drückten sich an der Hauswand entlang zu dem Nebeneingang, den sie auf gelassen hatten und waren froh, dass sie unbeschadet in ihr Zimmer gelangen konnten.
„Man, das waren aber viele Infos auf einmal“, brach Janne das Schweigen.
„Das Hotel auf Norderney, von dem die Rede gewesen war, haben meine Eltern gekauft. Sie hatten die Wahl zwischen Fehmarn und Nordsee. Nach Fuerteventura soll das jetzt die sozusagen die Endstation für die Familie sein. Mein Bruder macht ein Praktikum im Inselhotel König und mich haben sie nach Langeoog verschifft“, seufzte Marieke und schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter.
„Mit den Spinnern meinte Henning sicher Leute wie mich, die immer nur von Personal statt von der eigenen Familie umgeben waren. Ich wünschte, ich hätte einen Bruder, der mich ärgert, eine Mutter, die mir Räuberpistolen erzählt oder einen Vater, der Pizza backen kann.“ Wütend knallte Laura ihre ruinierten Pantoffeln in den Mülleimer. „Seht mich doch mal an! Wie ein Püppchen renne ich hier rum. Wisst ihr, dass ich noch nie Löcher in der Hose hatte oder Dreck oder den Fingernägeln hatte?“
„Wie kommt es eigentlich, dass du so wahnsinnig gut turnen kannst, wenn du dich doch eigentlich nicht ohne Erlaubnis bewegen durftest?“, wollte Janne wissen. „Meine Nanny war Leistungsturnerin und hat mich immer mit zum Training genommen. Das war mir allemal lieber als zu Hause in dieser riesigen Hütte zu bleiben. Meine Eltern waren erst dagegen, aber als sie merkten, dass ich sie weniger nervte…ähh, ich meine, dass mir der Sport gut tat, beließen sie es dabei.“
„Henning, wer hätte das gedacht“, sagte Pia gedankenverloren. „Wer hätte das gedacht. Egal. Wenn Mama geht, werde ich mitgehen müssen.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, rief Janne bestürzt. „Wir werden jetzt einen Packt schließen, los kommt her.“ Sie legten alle ihre Hände übereinander. „Wir bleiben zusammen was immer auch komme, Stock-Ente, Stock-Ente, Stock-Ente!“, beschworen sie im Chor.
„Das muss gefeiert werden. Gut, dass ich noch Toffifee dabei habe“, kicherte Laura und kramte eine Schachtel aus ihrem Schrankkoffer hervor.
„Weniger nervte… wie wahr! Ich lach mich tot“, spottete Pia und nahm ein Toffifee. „Glaub man nicht, ich hätte das nicht gehört, Laura!“
„Was macht eigentlich dein Heimweh?“, wandte Janne sich Marieke, denn irgendwie schien der Grund ihres nächtlichen Ausflugs bereits vergessen zu sein. Marieke grinste mit dem Mund voller Schokolade: „Heimweh? Wie weggeblasen!“ Die Mädchen sahen sich an und vielen sich lachend um den Hals. Eine Nacht wie diese schweißt zusammen, aber diesen Zusammenhalt werden sie noch brauchen, denn das dicke Ende sollte nicht lange auf sich warten lassen.
Nach nur wenigen Stunden Schlaf wurden sie um 6.00 Uhr unsanft aus ihren Träumen gerissen. Nach kurzem aber heftigem Klopfen stand Frau Klasing mit zorniger Mine in der Tür. „Das habe ich noch nicht erlebt. Gerade mal ein paar Wochen hier und die Hälfte der Erstsemester verstößt gegen die wichtigste Schulregel! Was um alles in der Welt hattet ihr um halb zwölf Uhr Nachts auf dem Hof zu suchen? Ihr zieht euch jetzt sofort an. Frau Götsch-Kruse erwartet euch bereits“, polterte Frau Klasing, die offensichtlich den ersten Ärger der Internatsleiterin über sich hat ergehen lassen müssen. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt jemals schläft“, murmelte sie beim Hinausgehen.
Sichtlich zerknirscht standen die vier Mädchen vor dem pompösen Schreibtisch der Leiterin. Diese musterte sie streng mit ihren eisgrauen Augen, die merkwürdig vergrößert durch die dicken Brillengläser wirkten. Ihr Haar, das fast die gleiche Farbe hatte, war zu einem strengen Knoten gebunden. „Nun, ich höre.“
Janne meldete sich zuerst zu Wort: „Das ist alles meine Schuld. Ich hatte so furchtbares Heimweh und dachte…“ Weiter kam sie nicht. „Nein, Frau Götsch-Kruse, ich war diejenige mit dem Heimweh. Janne wollt nur…“, fiel Marieke ihr ins Wort, kam aber auch nicht weiter. „Ich hatte die Idee mit dem Heimwehwundermittel meiner Mutter“, beeilte sich Pia zu sagen. „Und ich konnte die drei doch nicht alleine gehen lassen“, schob Laura hinterher. „So ein Quatsch, du hattest bloß Schiss, alleine in der Stockente“, zischte Pia.
„Nun ist aber Schluss! Heimwehwundermittel, das sieht deiner Mutter ähnlich. Ich glaube, ich spinne! Ihr werdet Strafarbeiten erledigen und zwar nicht zu knapp. In meiner ganzen Laufbahn ist mir so was noch nicht untergekommen. Da schleichen nachts vier Erstsemester über das Gelände, es hätte sonst was passieren können!“
„Ja“, murmelte Janne und unterdrückte ein Kichern, „ zum Beispiel Robert die Riesenrobbe.“
„Das ist hier kein Spaß, Janne. Gerade von dir hätte ich mehr Verantwortungsbewusstsein erwartet. Immerhin bist du die Klassensprecherin. Ich werde eure Eltern informieren und ihr meldet euch morgen nach dem Unterricht bei Frau Meyer-Erk in der Küche. Eine Frage noch: reitet ihr gerne?“
„Ja“, klang es wie aus einem Munde.
„Bis auf weiteres gestrichen“, beschied die Direktorin kurz angebunden, stand auf und wandte sich mit verschränkten Armen zum Fenster. „Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ihr könnt jetzt gehen.“
„Das ist in der Tat ein neuer Rekord“; stellte Marion fest, als die Mädchen am Nachmittag die Küche betraten. „Gleich vier Helfer auf einmal, das gab‘s noch nie. Ich will ja gar nicht wissen, was ihr nachts da draußen gesucht habt, aber wisst ihr denn nicht, dass Frau Götsch-Kruse Augen und Ohren überall hat, bei Tag und bei Nacht?“
„Ich habe nicht an die Bewegungsmelder gedacht, Mama.“
„Das Gelände ist nicht nur mit Bewegungsmeldern ausgestattet, sondern wird auch von Kameras überwacht, müsst ihr wissen. Vor dem Haupttor, über allen Nebeneingängen und beim Pferdestall sind Kameras installiert. Das alles beaufsichtigt die Chefin höchst selbst von ihrer Schaltzentrale, sprich ihrem Direktionszimmer aus.“
„Woher weißt du das?“, fragte Pia erstaunt. „Ach, Henning unser Hausmeister hat es mir erzählt. Er hat die ganze Technik angebracht und angeschlossen“, erklärte Marion mit einem Hauch von Stolz in der Stimme.
„Warum ist es eigentlich so streng verboten, nachts über das Gelände zu laufen?“, wollte Janne wissen. „Das ist eine lange Geschichte und gehört jetzt nicht hierher“, bestimmte Marion ungewöhnlich wortkarg. Dann hakte sie sich betont munter bei Laura unter. „So, du und Pia werdet Kartoffeln schälen. Außerdem warten noch 20 große Gemüsezwiebeln auf euch. Janne und Marieke, ihr werdet im Gemüsegarten gebraucht. Das Unkraut glaubt schon wieder, dass es gegen die Erbsen und Möhren gewinnt.“ Sie schrubbten den Herd, schnitten die Rasenkanten, brachten die Bettwäsche zur Heißmangel, bügelten Geschirrtücher, sammelten Müll – es wollte kein Ende nehmen. Es waren harte zwei Wochen, die sie mit Unterricht, Hausaufgaben und Strafarbeit verbringen mussten. Trotz des wunderbaren Sommerwetters schafften sie es kaum einmal an den Strand. Abends fielen sie fix und fertig in ihre Betten.
„Leute, wir müssen uns jetzt mal ums Pia’s Problem kümmern“, sagte Janne eines Nachmittags, als sie zusammen in ihrer Lieblingsecke zusammen saßen. Auf den Strohballen unter dem Schleppdach des Pferdestalls machten sie es sich gerne gemütlich. „Hat deine Mutter schon was wegen Norderney verlauten lassen?“
„Nee, aber ich habe neulich mitbekommen, dass Mama Frau Freitag gefragt hat, wo denn die Chefin sei. Mama sollte einen Picknickkorb für sie herrichten. Daraufhin hatte Frau Freitag ganz pikiert geantwortet, die Chefin sei bereits ohne Korb zum Herrn Inselmaler gegangen. Er stehe wohl doch eher auf eisgrau denn auf wohlgenährt.“
„Häh?!!“, machten Marieke und Laura.
„Man, seid ihr schwer von Kapee. Die Freitag ist auch verknallt in den Pinselfuzzi und glaubt, die Götsch-Kruse auch“, erklärte Janne in einem Ton eines Lehrers, der erklären muss, dass eins und eins zwei ist.
„Und weil die Götsch-Kruse denkt, deine Mama will auch was von ihm, will sie sie loswerden“, schlussfolgerte Marieke.
„Aber meine Mama will doch gar nichts von dem!“
„Das weiß aber die Götsch-Kruse doch nicht! Schließlich hat sie die beiden damals zusammen in seinem Haus überrascht. Der Picknickkorb war sicher nur reine Schikane. So war deine Mama beschäftigt und die Götsch-Kruse konnte sich schon mal auf den Weg machen.“ Janne spann den Faden noch weiter. „Das heißt, wir müssen unserem Freund der seichten Inselmalerei klar machen, dass er unserer liebenswerten Internatsleiterin reinen Wein einschenkt.“
„Klingt ein wenig verknödelt Janne, aber der Maler ist anscheinend der Schlüssel.“ Marieke dachte kurz nach und fuhr fort: „Aber mal im Ernst, kann sie die Schließung der Küche einfach so mir nichts dir nichts entscheiden? Ich meine, da hängt ja nicht nur der Job deiner Mutter dran.“ Damit hatte sie natürlich völlig Recht.
„Weißt du was, Pia? Du solltest deine neuen Freundinnen, die Stockenten, zum Kakao bei deiner Mutter ankündigen“, beschloss Janne und warf einen Blick in die Runde. Alle nickten. „Ich kümmere mich drum“, erklärte Pia. „Dann wäre das ja geklärt. Leute, es ist so ein heißer Tag heute. Wollen wir nicht zum Strand runter, oder hat noch jemand Hausaufgaben zu machen?“ Janne klatschte unternehmungslustig in die Hände und stand auf. „Du hast gut reden. Dieses halbschriftliche Dividieren und Multiplizieren macht mich fertig“, stöhnte Laura. „Ach komm schon“, quengelte Marieke gespielt wie ein nölendes Baby. „Janne und ich helfen dir nachher dabei. Zusammen macht das Baden doch viel mehr Spaß. Übrigens wisst ihr eigentlich, dass wir in all den Wochen noch nicht einmal auf dem Wasserturm waren? Wir sollten echt mal eine Radtour über die Insel machen. Janne meint, dass es morgens auf dem Turm am Schönsten ist.“
„Wie wäre es, wenn wir das Sonntag in Angriff nehmen. Dann ist Sonntag morgens sind noch nicht so viele Touries unterwegs. Ich führe euch anschließend in die Super-Eisdiele von Langeoog. Das Zitronen-Eis schmeckt zum Niederknien hmmm“, schwärmte Janne mit geschlossenen Augen und leckte sich über die Lippen. Und so schnappten sich die Mädchen ihre Badesachen, packten ein Beach-Ball-Spiel, einen Volleyball und was zum Naschen dazu und machten sich über den holprigen Weg quer durch die Dünen. Am Strand trafen sie die Mädchen aus der Moorhenne. Sie lieferten sich ein tolles Volleyballmatch und tobten im Wasser, bis es Zeit war, zum Abendessen zurück zur Schule zu wandern.
„So, während ihr euch jetzt um Mathe kümmert, gehe ich zu Mama und mache unseren Besuchstermin (sie betonte das Wort, indem sie es in mit den Fingern in Anführungszeichen setzte) mit Mama klar. Lasst mir die Aufgaben zum Abschreiben auf dem Tisch.“
„Pia, es geht nicht darum, die Hausaufgaben zu haben. Du musst sie auch kapiert haben“, warf Marieke ein. „Alles klar, Frau Freitag. Und legen sie mir bitte Englisch und Französisch gleich dazu“, grinste Pia zurück.
„Ich werde mal mit ihr reden“, sagte Janne auf dem Weg zur Stockente. „Ich habe da so eine Ahnung. Vielleicht gibt sie sich keine Mühe mehr weil sie denkt, dass sie im nächsten Jahr eh nicht mehr hier sein wird. Ich glaube, sie spielt die Lustige wieder mal nur.“
Am nächsten Morgen überraschte Frau Götsch-Kruse die Schülerinnen mit einer tollen Neuigkeit. „Ihr Lieben! Die älteren von wissen schon, was jetzt kommen wird. Wie immer in der ersten Septemberwoche steht das Besucherwochenende an. Und wie jedes Mal werden wir zu diesem Anlass ein großes Schulfest veranstalten. Das heißt, wir haben noch vier Wochen für die Vorbereitungen. Neben dem traditionellen Springreitturnier wird es erstmalig auf Wunsch der Reitlehrer in diesem Jahr auch ein Dressurwettkampf geben. Offensichtlich sind unter den Erstsemestern ein paar Reittalente verborgen“, fügte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu. „Ich erwarte weitere Programmvorschläge, die bei den jeweiligen Klassenlehrerinnen abzugeben sind, bis Mittwoch auf meinem Schreibtisch.“ Damit rauschte sie aus dem Speisesaal.
Augenblicklich erfüllte aufgeregtes Getuschel den Raum. Die Mädchen sprühten geradezu vor Ideen. „Meinst du, sie hat uns mit dem ‚Talent‘ gemeint?“, raunte Janne Marieke zu. „Wen denn sonst?! Nee, im Ernst, es muss ihr schon sehr schwer gefallen sein. Sie hat uns unseren nächtlichen Ausflug immer noch nicht verziehen. Ich würde zu gerne wissen, was damals hier passiert ist“, gab Marieke zurück.
Der Nachmittag bei Pias Mutter war sehr aufschlussreich. Marion versprach, mit Harry zu reden, bezweifelte aber, dass Frau Götsch-Kruse von ihrem Plan, Marion loswerden zu wollen, Abstand nehmen würde. „Woher wisst ihr das alles eigentlich? Habt ihr irgendwo gelauscht?“ Die schuldbewussten Gesichter sprachen Bände. „Aha, der nächtliche Ausflug mit anschließender Strafarbeit??“ „Wir hatten nie die Absicht zu lauschen, das müssen sie uns glauben“, sprudelte es aus Janne hervor. „Ja, wir wollten nur das Heimwehwundermittel von ihnen, weil es mir so schlecht ging. Die anderen wollten mir nur helfen“, bekräftigte Marieke heftig.
„Es ist zwar nicht die feine englische Art, aber Schwamm drüber“, winkte Marion ab. „Es tut mir nur leid, dass du so von Henning und mir erfahren musstest, Pia.“
„Mama“, begann Pia schmeichelnd, die eine Chance witterte, „du weißt doch sicher, was damals passiert ist, oder?“
„Sagen wir mal so. Frau Götsch-Kruse und ich teilen dasselbe Geheimnis, und das kann sie mir nicht verzeihen.“ Mit dieser undurchsichtigen Andeutung entließ sie die Mädchen. „Und jetzt ab mit euch an den Strand. Genießt die Sonne!“
„Wann hier wohl endlich mal Shuttlebusse eingesetzt werden?“, nörgelte Laura nicht zum ersten Mal. „Gib mir ‚nen Zehner und ich trag dich, du zartes Pflänzchen“, neckte Janne. „Hey, das ist normalerweise mein Text! Ich bin für die Normalo-Erziehung von unserem Püppchen zuständig!“, ermahnte Pia Janne. Als sie es sich auf ihrer Lieblingsdüne gemütlich gemacht hatten maulte Laura: „Und jetzt sind wir genauso schlau wie vorher.“ „Nein, stimmt nicht. Immerhin wissen wir, dass der Inselmaler nichts mit dem ganzen Scheiß zu tun hat jetzt“, stellte Janne sachlich fest. „Aber dass die Götsch-Kruse uns nicht leiden kann ist meine Schuld. Ich bin nun mal die Tochter der anderen Geheimnisträgerin.“ „So was nennt man Sippenhaft. Wir sollten dich jetzt verstoßen. Wer ist dafür?“, lachte Marieke und boxte Pia in die Seite.
Das Sommerfest rückte in Riesenschritten näher und Einladungen wurden an die Familien verschickt. Alle steckten bis zum Hals in den Vorbereitungen. Janne und Marieke verbrachten fast sämtliche Nachmittage auf dem Reitplatz. Sie wollten auf keinen Fall die Schule blamieren. Marieke über immer und immer wieder komplizierte Abläufe mit Corofino und Janne versuchte sich unterschiedliche Springparcours einzuprägen. Laura hatte vor, als Marktschreier zu fungieren. Als Clown verkleidet wollte sie mit dem Einrad über das Schulgelände fahren um lautstark die verschiedenen Darbietungen anzukündigen. Pia bereitete einen hübschen Verkaufsstand vor, um den Gästen Obstspieße und frische, selbstkreierte Obstsäfte anzubieten.
Am Abend bevor das große Fest starten sollte, kam Marieke völlig niedergeschlagen in die Stockente. Sie hielt einen geöffneten Brief in der Hand. „Ich wusste, dass es nichts Gutes zu bedeuten hat, wenn mir meine Eltern außer der Reihe Briefe schreiben. Sie können nicht zum Fest kommen, weil sie noch so viel wegen der Neueröffnung des Hotels zu tun haben.“
„Na und, was soll‘s“, bemerkte Laura leichthin. „Meine Regierung wird auch nicht kommen. Und das haben sie mir nicht mal selbst geschrieben, wie übrigens keinen der Briefe, die ich bisher erhalten habe. Sie ziehen eine Kreuzfahrt in der Südsee der Nordsee vor.“
„Erinnerst du dich daran, dass ich dir vor gar nicht langer Zeit kräftig in deinen verwöhnten Allerwertesten treten wollte? Das nehme ich auf der Stelle zurück. Wenn ich je deine Eltern zu Gesicht bekomme, werde ich ihnen in ihre oberflächlichen, selbstsüchtigen, unverantwortlichen Hintern treten, worauf du Gift nehmen kannst!“, explodierte Pia auf einmal und sah aus wie eine wild gewordene Furie.
„Dann werden sie dich auf Schadensersatz verklagen. Nun komm mal wieder runter. Ich bin es ja nicht anders gewohnt.“ Laura nahm eine Schachtel Pralinen aus ihrem Nachtschrank. „Hier, die sind zusammen mit der Absage und 50 Euro gekommen.“ Laura tat den anderen auf einmal schrecklich leid. Janne stand auf und nahm sie fest in den Arm.
„Trotzdem, meine Eltern sind nur ein paar Inseln weiter und nicht am anderen Ende der Welt“, bockte Marieke und schloss sich der Umarmung an. „Gruppenkuscheln!“, rief Pia sprang auch die Mädchen, so dass sie alle auf Lauras Bett fielen, welches mit einem lauten Krachen zusammenbrach. Die Mädchen lachten, bis ihnen die Tränen über die Wangen liefen. „Henning kriegt das bestimmt wieder hin“, gluckste Janne.
Marieke wollte trotzdem am nächsten Morgen Janne zum Bahnhof begleiten. Sie war neugierig auf Jannes Familie. Sie setzten sich in Hennings Kutsche und machten sich auf den Weg. Langsam kroch die rote Lokomotive mit ihren vielen bunten Waggons in den Bahnhof. Kaum, das die Türen geöffnet wurden, stürmte ein Hund aus einem gelben Waggon und eine laute Stimme dahinter ertönte fast zeitgleich. „Ferris, hierher!“ Janne machte Augen wie Tennisbälle und schrie ebenfalls: “FERRIS!! Mein Süßer! Komm zu mir!“ Ferris erkannte Janne sofort und sprang wie ein Kaninchen auf sie zu. „Das ist ja ein schöner Hund“, ganz begeistert tätschelte Marieke Ferris, doch dann sprang sie plötzlich auf. „Mama, Papa! Ihr seid ja doch gekommen! Boah ist das toll!“ Sie rannte los, um ihren Eltern in die Arme zu springen. Jannes und Mariekes Eltern hatten sich offensichtlich schon bei der Anreise kennen gelernt, denn sie stiegen alle zusammen aus demselben gelben Waggon. „Ferris, fuß“, schallt es noch mal laut über den Platz. Etwas weiter entfernt stand Jannes Bruder Tim mit einem Halsband, von dem sich Ferris offensichtlich losgerissen hatte, und der roten Hundeleine in der Hand. Zu Jannes großem Erstaunen gehorchte der Hund sofort und lief zu Tim. „Hallo Schwesterlein! Immer schön die Reihenfolge einhalten, was?“, lachte Lena und drückte Janne fest an sich. „Mensch, dass ihr zwei auch mitgekommen seid ist echt super! Lena, du hattest Recht. Die Schule ist klasse! Wie habt ihr Ferris dazu bekommen, so lange im Auto sitzen zu bleiben?“ Alles sprudelte nur so aus Janne heraus.
„Jetzt lasst uns doch erst mal ankommen. Wir müssen das ja nicht alles hier auf dem Bahnhof besprechen, oder?“, lachte Kerstin und nahm Janne in den Arm. „Wir haben uns im Schwedenhaus eingemietet. Die haben nicht gegen Hunde, wie du weißt“, sagte Jannes Vater Jürgen, der eine große Karre für das Gepäck besorgt hatte. „Annette, Jörg, wir sehen und später auf dem Fest!“, er Mariekes Eltern zu. „Nette Leute“, sagte er an seine Frau gewandt. „Wir sollten mal auf Norderney Urlaub machen.“ „Das ist eine Spinnerinsel. Lasst uns lieber wieder nach Fano fahren“, entschied Janne, als ob damit alles zu diesem Vorschlag gesagt wäre.
Das Wetter zeigte sich von seiner Schokoladenseite und auf dem Schulgelände herrschte reger Betrieb. Jannes und Mariekes Familien ließen sich erst die Stockente, die anderen Räumlichkeiten und schließlich das gesamte Schulgelände zeigen. „Pass bloß auf Tim, dass man dich hier nicht beim Nasepopeln erwischt. Hier sind überall Kameras installiert“, sagte Janne mit erhobenen Zeigefinger zu Tim, als sie den großen Brunnen umrundeten. „Und warum sagst du das zu mir und nicht zu Lena?“, blaffte Tim zurück. „Siehst du, er hat sich in den letzten Monaten nicht verändert, oder?“, spöttelte Lena.
Sie lernten die Klassenkameradinnen kennen und waren beeindruckt von allen Vorführungen und spendeten Janne und Marieke nach ihren Reitauftritten frenetischen Applaus. Janne hatte für ihre Mannschaft die meisten Punkte erzielt. Sie war zwar nicht als Schnellste, wohl aber absolut fehlerfrei den Parcours geritten! Stolz wie ein Pop-Star-Gewinner nahm sie den Pokal von Frau Götsch-Kruse in Empfang, die diesmal nicht schief sondern richtig zu lächeln schien. „Sag mal, hat sie das Talent von dir“?, fragte Jürgen, Jannes Vater, erstaunt seine Frau, während er wie wild applaudierte. „Nein, ich bin Nichtreiter“, antwortete Kerstin lachend. Sie war glücklich, ihre Tochter so fröhlich und selbstbewusst zu sehen.
Später saßen alle in schönster Eintracht an einem Tisch unter der großen Kastanie. Auch Marion und Henning hatten sich dazu gesellt, weil sie die Eltern von Janne und Marieke kennen lernen wollten. „Ich bin immer noch ganz hin und weg, dass ihr doch noch gekommen seid“, seufzte Marieke glücklich. „Nun ja“, sagte Anette, während ihr Mann Jörg gespielt desinteressiert in die Baumkrone blickte und tat, als ob er pfeifen würde. „Nachdem mir dein Vater von seiner Heldentat, den Besuch hier abzusagen, gebeichtet hatte, habe ich ihm ein paar Fragen gestellt. Warum er zum Beispiel so viele Mitarbeiter eingestellt hat und sogar einem Hotelmanager einen Haufen Geld bezahlt, wenn er am Ende doch alles selber machen will.“ „Da fällt mir ein, dass wir uns noch wegen der Stelle fürs Hauskeeping unterhalten müssen. Witzig, dass du Pias Mutter ist“, sagte Jörg zu Marion gewandt, und es schien, als wolle er von Thema ablenken. Janne und Marieke unterdessen warfen sich besorgte Blicke zu. Gut, dass Pia noch an ihrem Stand zu tun hatte.
„Immer im Dienst, was?“, plauderte Jannes Mutter weiter. „Jürgen war auch nicht so leicht zum Kurzurlaub zu überreden. Dabei ist es doch nur eine Nacht. Ich musste ihn tatsächlich erneut von der fabelhaften Einrichtung des Betriebshilfsdienstes überzeugen.“ „Und wofür habe ich denn wohl sonst die Hundeschule mit Ferris besucht! Nur damit Janne Ferris endlich mal wieder sehen kann! Jetzt ist er im Auto fromm wie ein Baby“, warf Tim ein. „War der Hund mit dir oder du mit dem Hund in der Schule?“, fragten Janne und Lena wie aus einem Mund. „Das genau ist der Grund, warum ich euch überhaupt nicht vermisse“, erwiderte Tim trocken. „Kinder, wie wär’s, wenn ihr uns noch eine Runde von diesem fantastischen Saft besorgt“, sagte Jürgen und drückte Janne etwas Geld in die Hand. „Du musste deinen Eltern sagen, dass sie Pias Mama nicht einstellen dürfen“, zischte Janne Marieke zu, kurz bevor Pias Saftstand erreicht hatten.
„Leute, wo wir hier so nett zusammen sitzen; wie wäre es, wenn wir zum Abschluss im Dorf etwas essen gehen? Michèle macht die beste Pizza, die ihr jemals gegessen habt“, schlug Henning vor. „Ich bestelle einen großen Tisch für uns alle und wir fahren mit einer Pferdekutsche.“ „Schaffen wir das noch vor der letzten Fähre?“, fragte Jörg skeptisch, aber Annette stieß ihm unsanft in die Rippen. „Natürlich schaffen wir das. Und wenn nicht, bleiben wir halt auch eine Nacht hier, wie Steinkamps.“ „Ich sage unseren Kindern Bescheid und Laura nehmen wir auch mit. Die Arme hat heute keinen Besuch bekommen und ihren Job als Marktschreierin großartig gemacht. Wir bauen schnell den Saftstand ab und kommen dann Kutschplatz.“
Es wurde ein lustiger Ausklang eines perfekten Tages, als alle an einer großen Tafel beisammen saßen. Die Pizzen waren wirklich fabelhaft. „Fasst so gut wie deine selbst gemachte zu Hause, Papa“, stellte Janne fest. „Aber wie um alles in der Welt kann man nur Schnecken essen?“, fragte sie Laura und blickte auf das brutzelnde Pfännchen. „Mama schneidet sie zu Hause im Garten immer mit der Gartenschere durch. Das ist voll ekelig.“ „Erstens, das sind Weinbergschnecken und keine Nacktschnecken, die Laura da isst. Und zweitens, ja, die einen streuen Salz drüber, ich schneide sie durch, denn ich will sie töten, nicht würzen. Aber wir sollten das Thema wechseln“, fügte Jannes Mama schnell hinzu, als sie die entsetzten Gesichter der anderen bemerkte.
„Seht mal, da kommt Harry, der berühmte Inselmaler“, sagte Marion plötzlich und winkte in Richtung Eingangstür. Harry kam mit seiner Begleitung an den Tisch. „Hallo alle zusammen. Da hatten wir anscheinend die gleiche Idee. Wir wollen uns auch ein schönes Essen gönnen, wir haben nämlich was zu feiern. Darf ich euch meine Verlobte Sigrid, genannt Siggi vorstellen?“ Stolz legte er den Arm um Siggis Schulter. Alle riefen „Glückwunsch!“ und „Gratuliere!“. Siggi schaute Harry verliebt in die Augen und sagte: „Danke euch allen. Wisst ihr, Harry ist der gutaussehendste und netteste Mann, den ich je kennen gelernt habe. Wenn ich ihn um einen Gefallen bitte, zögerte er nicht eine Sekunde, selbst wenn er dazu eine Landkarte und Sauerstoffgerät bräuchte“, schwärmte sie hingerissen. Harry räusperte sich. „Siggi, Schatz, komm jetzt. Unser Tisch ist frei geworden. War schön euch kennen zu lernen“, sagte es und schob seine Verlobte weiter. Marieke drehte sich kurz weg und tat, als müsste sie sich übergeben. Keine Spur mehr von dem mürrischen und verängstigen Mädchen am Anfang des Schuljahres. Die Freundschaft, insbesondere die von Janne tat ihr sichtlich gut.
„Wenn das so ist, ich habe auch noch etwas zu verkünden“, setzte Marion nachdem Harry und Siggi den Tisch verlassen hatten an und klopft mit der Gabel an ihr Glas. „Jörg, Annette, ich kann euer großzügiges Angebot nicht annehmen. Ich möchte Pia und Henning nicht hier zurück lassen müssen. Die Schließung der Interernatsküche hat sich zwar als Gerücht entpuppt, doch sollte Frau Götsch-Kruse mich doch aus irgendeinem Grund feuern können, werde ich mir eine Stelle auf Langeoog suchen. Zur Not machen wir aus Hennings Haus eine eigene Pension. So, und jetzt gebe ich einen aus. Eis für die Kinder, Weizen für uns!“
Viel zu schnell mussten sie voneinander Abschied nehmen. „Ihr müsst uns unbedingt auf Norderney besuchen. Selbstverständlich mit Ferris, Tim. Dann lernst du auch Lennart, Mariekes älteren Bruder kennen.“ „Gott sei Dank, denn hier herrscht ja der reinste Mädchen-Overkill!“, seufzte Tim gespielt theatralisch.
Als die Mädchen müde aber glücklich in ihren Betten lagen sagte Laura in die Stille hinein: “Du Janne, dein Bruder ist aber wirklich süß.“ „Finde ich auch“, stimmte Pia zu. „Süß?? Ihr spinnt jawohl. Der kann gar nicht süß sein, er ist mein Bruder, Mensch. Man merkt, dass die beiden keinen älteren Bruder haben, oder?“ „Stimmt genau“, lachte Marieke.
Den nächsten Nachmittag verbrachte Janne mit ihrer Familie am Strand. Sie tobte mit Lena, Tim und Ferris am Meer, ließ mit ihrem Vater Drachen steigen und spielte mit ihrer Mama Beach Ball. „Mama und Papa haben uns für diesen Tag extra von unseren Schulen beurlauben lassen“, sagte Lena, als die Kinder sich an der Strandbar Eis und Crèpes genehmigten. „Du hast es echt gut hier getroffen“, meinte Tim und leckte genüsslich an seinem Nuss-Eis. „Ja, als ihr mich in Hamburg besucht habt, konntest du es nicht erwarten, ins Miniatur Wunderland zu kommen. Ich wette, Mama und Papa haben dich damit geködert, stimmt‘s?“ Lena biss herzhaft in ihren Nougat-Crèpe. „Ach Leute, ich freue mich aber auch schon sehr auf die Winterferien. Ich muss doch sehen, wie die Baustelle vorangekommen ist und ob das Trampolin noch steht. Übrigens, Luise und Pia finden dich süß, Tim!“ „Ihhhh!“, machte Lena und rannte schnell weg, denn sie kannte ihren Bruder nur zu gut!
„Kann es sein, dass die Hausaufgaben in der letzten Zeit mehr geworden sind, oder habe ich bis jetzt immer nur die Hälfte davon erledigt?“, stöhnte Pia eines Nachmittags, als sie zusammen in der Bücherei über ihren Büchern und Heften brüteten. „Sowohl als auch“, sagte Janne und rutschte mit ihrem Stuhl zu Pia hinüber. „Jetzt wo klar ist, dass ihr hier bleiben werdet, solltest du dich ein bisschen mehr anstrengen. Am Ende wirst du nicht versetzt und fängst nächstes Jahr wieder bei den i-Dötzen an.“
„Ich geb ja zu, ich hatte einfach keine Lust mehr auf die ganze Lernerei. Frau Freitag hat mich auch schon auf meine immer schlechter werdenden Noten angesprochen. Fand ich echt nett, bevor sie damit zu meiner Mutter geht, wollte sie mir noch eine Chance geben, mich zu verbessern.“
„Dann sollest du sie nicht enttäuschen, oder?“, ermunterte sie Janne. „Ab sofort gilt die Parole Prüfungsnoten. Ich helfe dir bei Mathe und Deutsch und Marieke übernimmt Englisch und Erdkunde. In den anderen Fächern brauchst du keine Hilfe. „Ich könnte Pias Tischdienst übernehmen, dann hat sie mehr Zeit. Hey, was sollen die überraschten Gesichter? Wir sind schließlich die Stockenten, oder?“ „Laura, du bist ein Schatz!“, lachte Pia und fiel Laura in den Arm. „Gruppenkuscheln!“, riefen Janne und Marieke und stürzten ebenfalls auf Laura.
Plötzlich hatte der Herbst Einzug gehalten. Die Kastanien fielen dick und glänzend aus ihren stacheligen Hüllen, der Wind rüttelte kräftig an den Fensterläden die See peitschte wild an den Strand. Janne liebte diese Jahreszeit auf Langeoog. Die Ausritte am Strand waren himmlisch. Es waren so gut wie keine Touristen mehr unterwegs und die Strandkörbe sind bereits zur Reparatur eingeholt worden. Die Prüfungen hatten alle ganz gut gemeistert.. Pia hatte dank der Unterstützung ihrer Freundinnen sogar für die selbst sehr überraschend gute Ergebnisse erzielt. Sie freuten sich auf das letzte Wochenende vor den Weihnachtsferien, als sie den Musikunterricht verließen. Frau Wengenroth war wieder mal so hingerissen von Lauras Darbietung gewesen, dass sie ihr beim Hinausgehen „Bravo, Bravo!“ hinterher rief. „Ich glaube, ich übe über die Ferien einen Gitarrenriff von AC/DC auf dem Eierschneider. Vielleicht könnte ich damit meine Musiknote von der Beton-Vier auf eine wackelige Drei minus verbesser“, feixte Janne. „Was ist ein Eierschneider?“, fragte Laura arglos. „Ich schenk dir einen zu Weihnachten, dann weißt du es!“, griente Marieke und hakte sich bei Janne unter. „Lasst uns heute ins Dorf fahren und Weihnachtsgeschenke besorgen. Ich glaube, ich kaufe für Lennart Robert, die Riesenrobbe, damit sie meinen Bruder zerquetscht.“ Daraufhin bekamen die Vier einen nicht enden wollenden Lachanfall.
Sie fanden Sanddornsaft und Lakritzbonbons, verschiedene Teesorten und windschiefe Langeoog-Tassen. Janne musste noch unbedingt in die Insel-Buchhandlung beim Wasserturm. Sie hatte sich den dritten Band von „Hanna und Professor Paulchen“ bestellt. Sie liebäugelte auch mit dem sechsten Band von Harry Potter als Hörbuch, doch der war ihr zu teuer. Außerdem war sie sich sicher, dass ihre Mutter den bestimmt schon gekauft hatte. Janne hätte noch stundenlang in der engen, kleinen Bücherladen weiterstöbern können. „Wo wir schon mal hier sind, lasst uns nochmal auf den Wasserturm gehen. Ich möchte noch ein paar Fotos von uns da oben machen“, schlug Laura vor und zückte ihre Kamera. „So viele Bilder, die du schon von uns geschossen hast, da kannst du ja bald ein Daumenkino draus machen“, sagte Pia.
Abends machten sie es sich mit Keksen und Apfelpunsch in ihrer Stockente gemütlich, verpackten die Geschenke und unterhielten sich über das bevorstehende Weihnachtsfest. „Wie feiert man eigentlich ganz normal Weihnachten?“, fragte Luise, „Wir sind meistens zum Skifahren in St. Moritz oder in Aspen, Colorado.“ „Mama und ich feiern Heiligabend immer zusammen. Erst gehen wir in die Kirche, dann kochen wir was Leckeres und nach der Bescherung sehen wir fern“; sagte Pia ohne eine schnippische Bemerkung in Richtung Laura abzugeben, was Janne ihr hoch anrechnete. „Am ersten Feiertag muss ich dann zu meinem Vater aufs Festland“, fügte Pia hinzu. Sie hatte noch nie über ihren Vater gesprochen und es schien ihr nicht der Sinn danach zu stehen, gerade jetzt damit anzufangen „Tja, da wir haben immer in den jeweiligen Hotelanlagen gefeiert. Für die Gäste musste es immer das Highlight der gebuchten Reise werden, und darum hatten Mama und Papa zu Weihnachten jede Menge Stress. Aber es gab immer Animateure, die den Weihnachtsmann für uns gespielt haben. Ich fand‘ lustig.“
Janne nahm sich einen Keks und erinnerte sich: „Früher hat Mama uns immer zu Oma und Opa gebracht. Wenn wir dann später nach Hause kamen, sah immer alles ganz toll aus. Plötzlich stand ein wunderschön geschmückter Weihnachtsbaum im Wohnzimmer, überall leuchteten Kerzen und Lichterketten und die Geschenke waren unter dem Baum ausgebreitet. Inzwischen schmücken helfen meine Geschwister und ich beim Schmücken und Oma und Opa kommen später zum Essen zu uns. Letztes Jahr war es in der Kirche sehr lustig, denn Tim hat mit seiner Konfigruppe die Weihnachtsgeschichte aufgeführt. Tim hat den Kaiser gespielt und saß während des ganzen Gottesdienstes auf einem Podest und schaute in die Gemeinde. Am Ende des Stückes sprang er herunter und rief dann laut “Hoppala!“ und alle in der Kirche haben gelacht.“ „Wie süß“, schwärmte Laura. „Finde ich auch“, stimmte Pia ihr zu. Janne und Marieke sahen sich an und schüttelten die Köpfe.
Die Koffer waren gepackt und Pferdekutschen standen zur Abreise bereit. Pia begleitete ihre Freundinnen noch bis zum Bahnhof. Zum Abschied bildeten die Vier einen Kreis, legten die Hände übereinander und reifen: „Stock-Ente, Stock-Ente, Stock-Ente!“, und Janne dachte glücklich: Neue Schule – neue Freunde!
pommesrot,
Freitag, 17. Dezember 2010, 19:34
Hallo Cabman!
Dein Buch sieht klasse aus! Der oder die Beschenkte/r wird es sicher in Ehren halten!
Ich werde meine Geschichte nicht so schön binden können. Eine Spirale mit laminiertem Pappdeckel und Rückenwand - mehr krieg ich nicht hin. Das fertige Gebinde werde ich demnächst zeigen.
Ich verschenke gerne Dinge, die ich selbst gerne hätte. Deshalb bekommt Tim die neue `Shaun das Schaf`- DVD. Ich freu mich schon ;-)
Ich werde meine Geschichte nicht so schön binden können. Eine Spirale mit laminiertem Pappdeckel und Rückenwand - mehr krieg ich nicht hin. Das fertige Gebinde werde ich demnächst zeigen.
Ich verschenke gerne Dinge, die ich selbst gerne hätte. Deshalb bekommt Tim die neue `Shaun das Schaf`- DVD. Ich freu mich schon ;-)
cabman,
Freitag, 17. Dezember 2010, 19:57
Schöne Geschichte da oben! Top!
Die Beschenkte freute sich auch sehr, denn selbstgemacht ist nun mal selbstgemacht! Man investiert Zeit und Gedanken für diese eine Person und zwar nur für diese. Ist wie beim Briefeschreiben.
Inkl. der Buchdeckel hat die Bindung meines Werkes bei Stapels 15,-€ gekostet. Ich nehme an, Sie haben kein Stapels umme Ecke?
Ich empfehle aber mind. 200g/m² Papier. Dünner reißt schneller.
Die Beschenkte freute sich auch sehr, denn selbstgemacht ist nun mal selbstgemacht! Man investiert Zeit und Gedanken für diese eine Person und zwar nur für diese. Ist wie beim Briefeschreiben.
Inkl. der Buchdeckel hat die Bindung meines Werkes bei Stapels 15,-€ gekostet. Ich nehme an, Sie haben kein Stapels umme Ecke?
Ich empfehle aber mind. 200g/m² Papier. Dünner reißt schneller.
ramirez,
Freitag, 17. Dezember 2010, 22:29
Mittwoch gibt's bei L*dl für 15,99 € ein Thermobindegerät - falls du noch mehr so superschöne Geschichten verschenken möchtest, könnte sich das lohnen. Ist immerhin wie ein Buch gebunden. Würd dem guten Stück wirklich prima zu Gesicht stehen! :)