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Samstag, 18. März 2006

Kurzgeschichte Begegnungen

„Das war es also;“ dachte Werner Borgmann, „ ich bin ruiniert. Quasi nicht mehr existent.“ In sich zusammen gesunken hockte er auf dem Stuhl. Sein Arzt und einziger Vertrauter, Dr. Schüttler,, schnappte hörbar nach Luft. Mit diesem harten Urteil hatte keiner gerechnet. Der Gerichtsdiener hinter Werner klapperte ungeduldig mit den Handschellen.

Neun Jahre ohne Bewährung wegen schweren Raubes und versuchten Mordes. Dabei ist es doch ein Unfall gewesen. Es tat ihm unendlich leid, dass der dreifache Familienvater seit dem querschnittsgelähmt war. Er wollte den Tankstellenbesitzer nicht überfahren. Aus reiner Verzweiflung hatte Werner Gas gegeben doch plötzlich stand er vor dem Kühler des gestohlenen Wagens. Er hörte noch das dumpfe Aufklatschen des Schädels auf der Windschutzscheibe, die daraufhin aussah wie kristallisiert. Seine Hände umklammerten das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervor traten und sein rechter Fuß behielt das Gaspedal krampfhaft nach unten gedrückt. Völlig ungebremst krachte er in die Waschanlage. Als Werner im Krankenhaus die Augen öffnete nahm er zuerst den Polizeibeamten wahr. Dunkel holte ihn das Geschehene ein.

Begonnen hatte alles in Rosas, einer Touristenhochburg an der spanischen Costa Brava. Damals, vor etwa 15 Jahren, war Werner im Außendienst des marktbeherrschenden Unternehmens Glückstern, das Spielautomaten herstellt, tätig. Er betrat die Bodega mit dem wohlklingenden Namen „La Luna“ und sah Susanna gelangweilt hinter dem Tresen stehen. Über ihr rotierte ein riesiger Ventilator, der fast die Ausmaße eines Hubschrauberpropellas hatte. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie im Nacken zusammen gebunden und das enge olivgrüne T-Shirt lässig über dem Bauchnabel geknotet. Träge hob sie den Kopf , als sie Werner bemerkte.

„Hola!“, versuchte Werner zaghaft sein Schulspanisch.
„Sie können ruhig deutsch sprechen“, unterbrach Susanna unwirsch. Sein grauer Vertreteranzug, der Aktenkoffer und nicht zuletzt sein heller Teint schienen Bände zu sprechen.

„Das ist gut. Wissen Sie, dies ist mein erster Einsatz im Außendienst“, entschuldigte sich Werner.

Sein unsicheres, ja schon fast schuldbewusstes Auftreten machte Susanna neugierig. Es waren keine weitern Gäste im Lokal und sie bot ihm einen Platz am Ecktisch an. Das Eis war schnell gebrochen. Durch geschicktes Hinterfragen war Susanna schon bald im Bilde darüber, dass Werner 25 Jahre alt und ledig war, einen Bausparvertrag hatte und Geld in Aktien angelegt hatte. Er hatte Maschinenbau und BWL in Göttingen studiert und nach rasanten sechs Semestern den Ingenieurstitel in der Tasche. Jetzt bekleidete er schon in seinen jungen Jahren einen aussichtsreichen Managerposten. Auf eigenen Wunsch hat er sich für zwei Jahre in den Außendienst versetzten lassen. In Werner Borgmann erkannte Susanna plötzlich die Chance ihres Lebens.

„ Die ganze Zeit rede ich nur vor mir. Ich bin wirklich unhöflich. Was machst du , wenn du nicht gerade kellnerst?“ unterbrach Werner Susannas gedanklichen Zukunftspläne.

„Och“, Susanna zuckte gelangweit mit den Schultern, „ diese Bodega gehört schon seit Jahrzehnten meiner Familie, den Di Santes. Toller Name, was? Nur weil ich das einzige Kind bin soll ich diesen Laden mal übernehmen und muss deshalb auch nach Barcelona zur Hotelfachschule gehen. Aber hey! Was soll das? Ich bin letzte Woche 18 geworden und ich habe keine Lust, hier zu versauern. Mich interessiert weder die Kneipe noch die blöden Touristen und die damit verbundene aufgesetzte Freundlichkeit, um ihnen möglichst viele Euros aus der Tasche zu ziehen.“

Sie lehnte sich in ihrem Baststuhl zurück und verschränkte die Arme hinter den Kopf. Ihrer Wirkung war sie sich durch und durch bewusst. „Du weißt ja gar nicht, wie ich Dich beneide! Einen tollen Job, mal hier hin, mal da hin, interessante Menschen kennen lernen und völlig unabhängig zu sein. Meine Eltern erlauben nicht mal einen Führerschein und ich habe nicht genug Geld dafür.“

„Für den Moment kann ich mich wirklich nicht beklagen. allerdings möchte ich schon so in ein, zwei Jahren ein eigenes Haus mit Familie haben“, erwiderte Werner sichtlich mit sich zufrieden. Es schmeichelte ihm sehr, von so einer Frau wie Susanna beneidet zu werden.

Während Werner über seine Zukunft sinnierte, hatte Susanna im Stillen bereits konkrete Pläne gemacht. Sie war wild entschlossen, die Hotelfachschule zu schmeißen, mit Werner nach Deutschland zu gehen und ein neues Leben zu beginnen.

Glücklich, die vermeintliche Frau seines Lebens gefunden zu haben ließ sich Werner in den Innendienst versetzten und sie kauften sich ein schmuckes Reihenhaus in Hamburg-Harburg. Susanna richtete es nach ihren Vorstellungen ein. Mit viel Liebe zum Detail stattete sie die Räume aus und klapperte sämtliche Antiquitätenläden in Hamburg und Umgebung ab. Durch ihre gemeinsamen Mitgliedschaften im Golfclub, Tennisverein und der Wasserskiclique bauten sie sich einen netten Bekanntenkreis auf.

Nur beim gemeinsamen Sommerurlaub drifteten ihre Vorstellungen wie eine offene Schere auseinander. Da Werner sehr in seinen Job eingebunden war, suchte er im Urlaub nach dem besonderen Kick. Diesen fand er in Form von Trekkingtouren durchs Himalayagebirge oder Abenteuerurlaub in den Anden. Susanna hingegen träumte von Städtereisen nach New York, Paris oder Tokyo. Sie einigten sich schnell darauf, getrennte Urlaube zu machen.


Fortsetzung folgt...

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